Interview: Orwell – Farm der Tiere

Christa, 19 septembre 2013

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Orelie: Guten Tag, Herr George Orwell, ich begrüße Sie herzlich zu diesem Gespräch, in dem wir über Ihr Buch Farm der Tiere sprechen werden, das im Jahr 1945 erschien. Sie schildern in dieser Fabel die stalinistische Gewaltherrschaft und auf welche Weise diese die Ideale der sozialistischen Revolution verraten und zunichte gemacht hat. Sie wollten dieses Buch schon Ende 1943 veröffentlichen, fanden aber keinen Verleger in England, da Großbritannien an der Seite der UdSSR stand, um das nationalsozialistische Deutschland zu besiegen. Überlegungen staatssicherheitlichen Charakters spielten eine bedeutende Rolle, dass Ihr Buch nicht veröffentlicht wurde. Aber den Hauptgrund, dass Sie keinen Verleger fanden, sehen Sie in dem Verhalten der englischen Intelligenz. Können Sie das erläutern?

George Orwell: Die Servilität, mit der der überwiegende Teil der englischen Intelligenz von 1941 an die russische Propaganda geschluckt und wiederholt hat, wäre recht erstaunlich, hätte sie sich bei mehreren früheren Gelegenheiten nicht ganz ähnlich verhalten. Streitfrage auf Streitfrage ist der russische Standpunkt ausnahmslos akzeptiert und dann unter völliger Missachtung historischer Wahrheit und intellektueller Redlichkeit publiziert worden. Die derzeit herrschende Orthodoxie verlangt die unkritische Bewunderung Sowjetrusslands. Jeder weiß das, fast jeder handelt danach. Jede ernsthafte Kritik am Sowjetregime, jede Enthüllung von Tatsachen, die die Sowjetregierung lieber weiterhin verborgen sähe, ist nahezu undruckbar.

George Orwell, Farm der Tiere, Diogenes Verlag, Zürich, 1982, S.137,136

Orelie: Was beunruhigte Sie besonders stark?

George Orwell: Das Beunruhigende ist, dass man, geht es um die UdSSR und ihre Politik, keine intellektuelle Kritik, ja in vielen Fällen nicht einmal schlichte Ehrlichkeit von liberalen Autoren und Journalisten erwarten kann, die keinem Druck ausgesetzt sind, ihre Meinungen zu verfälschen. Stalin ist sakrosankt, und gewisse Aspekte seiner Politik dürfen nicht ernstlich diskutiert werden. Diese Regel ist seit 1941 beinahe ohne Einschränkung befolgt worden, aber funktioniert hat sie schon zehn Jahre früher. Ereignisse in Russland und Ereignisse anderswo mussten mit verschiedenen Maßstäben gemessen werden. Die endlosen Hinrichtungen während der Säuberungsaktionen 1936-38 wurden von lebenslangen Gegnern der Todesstrafe beklatscht, und man fand es ebenso richtig, Hungersnöte publik zu machen, wenn sie sich in Indien ereigneten, und sie zu verheimlichen, wenn sie sich in der Ukraine ereigneten.

Farm der Tiere, S.139-141

Orelie: Ihre Kritik an der UdSSR hielt Sie in keinster Weise davon ab, sich voll für den Sieg über das nationalsozialistische Deutschland einzusetzen.

George Orwell: Seit gut einer Dekade bin ich der Meinung gewesen, dass das existierende russische Regime größtenteils ein Übel ist, und ich beanspruche das Recht, dies zu sagen, obgleich wir und die UdSSR Verbündete in einem Krieg sind, den ich gewonnen sehen möchte.

Farm der Tiere, S.147

Orelie: Kommen wir nun zu Ihrem Buch Farm der Tiere, in dem Sie in eine Fabel gekleidet, die kommunistische Gewaltherrschaft unter Stalin und ihren Verrat an der Revolution aufzeigen, ohne die UdSSR beim Namen zu nennen. Die Tiere der Herren-Farm, die dem Alkohol verfallenen Farmer Jones gehörte, haben sich durch eine Rebellion von ihrem Sklavendasein befreit. Das Lied Tiere Englands, das ihnen Old Major, ein preisgekrönter, mittelgroßer Keiler noch vor seinem Tod beigebracht hat, trug entscheidend zum Erfolg dieses Aufstands bei. Das Lied erinnert an die kommunistische Internationale. Können Sie daraus zitieren?

George Orwell: Leuchten werden Englands Felder, Lauterer sein Wasser rinnt, Lieblicher die Lüfte wehen, Wenn der Freiheit Tag beginnt. Diesen Tag gilt’s zu erringen, Sterben wir auch, eh er naht; Kuh und Ross und Gans und Truthahn müssen säen der Freiheit Saat.

Farm der Tiere, S.18

Orelie: Aber nachdem die Farm im Besitz der Tiere ist, nehmen sich die Schweine Vorrechte heraus, und verbrämen diese mit dem Gebot der Notwendigkeit. So trinken sie Milch und beanspruchen das gesamte Fallobst. Auf welche Weise manipuliert der redegewandte Schwatzwutz, ein dickliches Schwein mit überzeugenden Gesten, die anderen Tiere?

George Orwell: „Genossen!” rief er. „Ihr glaubt doch hoffentlich nicht etwa, wir Schweine täten dies aus Eigennutz oder Privilegdenken? Viele von uns mögen eigentlich Milch und Äpfel gar nicht. Die ganze Leitung und Organisation dieser Farm hängt von uns ab. Wir wachen Tag und Nacht über eure Wohlfahrt. Um euretwillen trinken wir diese Milch und essen wir diese Äpfel. Wisst ihr, was geschehen würde, wenn wir Schweine in unserer Pflicht versagten? Jones würde zurückkommen! Wenn es nun etwas gab, worüber sich die Tiere völlig sicher waren, dann das, dass sie Jones nicht zurückhaben wollten. Als ihnen die Angelegenheit in diesem Licht präsentiert wurde, hatten sie weiter nichts mehr zu sagen.

Farm der Tiere, S.37-38

Orelie: Auch kommt es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Schneeball und Napoleon, den beiden Schweinen, die sich um die Organisation der Farm kümmern. Auf welche Weise gewinnt Napoleon gegen seinen Rivalen und kann eine Diktatur errichten?

George Orwell: Napoleon bestieg jetzt, mit den Hunden im Gefolge, jenen erhöhten Teil des Fußbodens, von dem aus Major einst seine Rede an die Tiere gehalten hatte. Er verkündete, dass von nun ab Schluss sei mit den Sonntagvormittag-Treffen. In Zukunft würden alle Fragen, die den Farmbetrieb anlangten, von einem Schweine-Sonderkomitee geregelt werden, dem er persönlich vorzusitzen gedenke. Sie würden geheim tagen und ihre Entschließungen anschließend den Übrigen mitteilen.

Farm der Tiere, S.55

Orelie: Bald darauf beginnt eine Hetzkampagne gegen Schneeball, dem die wüstesten Vergehen angelastet werden. So wird er unter anderem auch beschuldigt die Windmühle zerstört zu haben, als diese eines Tags in Trümmern liegt.

George Orwell: „Genossen”, sagte Napoleon ruhig, „wisst ihr, wer hierfür verantwortlich ist? Kennt ihr den Feind, der bei Nacht eingedrungen ist und unsere Windmühle zerstört hat? SCHNEEBALL!„, brüllte er plötzlich mit Donnerstimme. Schneeball hat dies getan! Aus purer Bosheit, um uns in unserem Vorhaben zu hindern und um sich für seine schmähliche Vertreibung zu rächen, deswegen hat sich dieser Verräter im Schutze der Nacht hierhergeschlichen und das Werk von fast einem Jahr zerstört. Genossen, ich verhänge an Ort und Stelle das Todesurteil über Schneeball.”

Farm der Tiere, S.69-70

Orelie: Welche Art von Schauprozessen leitet Napoleon daraufhin ein?

George Orwell: Napoleon musterte seine Zuhörer streng; dann stieß er ein hohes Quieken aus; augenblicklich sprangen die Hunde vor, packten vier von den Schweinen bei den Ohren und schleiften sie, die vor Schmerz und Entsetzen quiekten, Napoleon vor die Füße. Die vier Schweine warteten zitternd und mit schuldbewussten Mienen. Napoleon forderte sie jetzt auf, ihre Verbrechen zu gestehen. Es waren dieselben vier Schweine, die protestiert hatten, als Napoleon die Sonntags-Treffen abschaffte. Ohne weiteres Drängen gestanden sie, dass sie mit Schneeball, seit seiner Verjagung, heimlich in Verbindung gewesen waren, dass sie bei der Zerstörung der Windmühle mit ihm kollaboriert und die Abmachung getroffen hatten, die Farm der Tiere Mr Frederick in die Hände zu spielen. Als sie ihr Geständnis abgelegt hatten, zerfleischten ihnen die Hunde augenblicklich die Kehlen, und mit fürchterlicher Stimme verlangte Napoleon zu wissen, ob nicht noch ein Tier etwas zu beichten habe.

Farm der Tiere, S.81-82

Orelie: Napoleon nimmt Kontakt zu anderen Farmern auf und lädt sie auf die Farm ein. Was stellen die Tiere fest, wenn sie die Schweine, die ihre Farm leiten, mit den anwesenden Menschen vergleichen?

George Orwell: Jetzt stand außer Frage, was mit den Gesichtern der Schweine passiert war. Die Tiere draußen blickten von Schwein zu Mensch und von Mensch zu Schwein, und dann wieder von Schwein zu Mensch; doch es war bereits unmöglich zu sagen, wer was war.

Farm der Tiere, S.72

Orelie: In Ihrem Buch finden sich mehrere Stellen, die zeigen, dass die Tiere trotz der Opfer, die sie bringen müssen, die Farm voller Wehmut als die Ihrige ansehen. Können Sie eine solche Stelle wiedergeben?

George Orwell: Der größte Teil der Farm der Tiere lag vor sie hingebettet – die lange Weide, die sich bis zur Hauptstraße dehnte, die Wiese, das Gehölz, die Tränke, die gepflügten Felder, wo der junge Weizen dicht und grün stand, und die roten Dächer der Farmgebäude mit dem Rauch, der sich aus ihren Schornsteinen kräuselte. Es war ein klarer Frühlingsabend. Die waagrecht einfallenden Strahlen der Sonne vergoldeten das Gras und die knospenden Hecken. Nie war den Tieren die Farm – und mit einiger Überraschung entsannen sie sich, dass es ihre eigene Farm, jeder Zoll davon ihr Eigentum war – so begehrenswert erschienen.

Farm der Tiere, S.83-84

Orelie: Herr George Orwell, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

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