Orelie: Guten Tag, Herr Émile Zola und Herr Paul Cézanne. Ich freue mich, dass Sie beide zu diesem Gespräch gekommen sind, in dem wir Ihre Freundschaft aufleben lassen wollen, die im Jahr 1852 in Aix ihren Anfang genommen hat. Sie gingen in dasselbe Collège, führten unzählige Gespräche, in denen Sie einander Ihre Geheimnisse anvertrauten, erklommen gemeinsam den Mont Sainte-Victoire, fühlten sich voneinander verstanden und konnten sich aufeinander verlassen. Oftmals verteidigten Sie, Herr Cézanne, Ihren Freund, wenn er von Schulkameraden verhöhnt oder sogar geschlagen wurde und Sie wurden dabei manchmal auch selbst handgreiflich. Sie, Herr Zola, lebten allein mit Ihrer Mutter, da Ihr Vater, der Erbauer der Zola-Talsperre, während der Arbeiten im Jahr 1847 an einer Lungenentzündung gestorben war. Im Jahr 1858 zogen Sie und Ihre Mutter, die mit einer geringen Rente auskommen musste, nach Paris. Wie wirkte diese Stadt auf Sie?
Émile Zola: Paris ist groß, voll von Vergnügungsmöglichkeiten, von Denkmälern, von reizenden Weibsbildern. Aix ist klein, eintönig, engherzig, voller Frauen. Aber trotz allem ziehe ich Aix Paris bei weitem vor. Sind es die sich sanft unter dem Wind beugenden Pinien, sind es die dürren Schluchten, die übereinander aufgetürmten Felsen oder die malerischen Landschaften der Provence, die mich dorthin ziehen? Sind es nicht vor allem die Freunde, welche ich dort unten in der Umgebung des Arc gelassen habe?
Paul Cézanne, Briefe, Diogenes Verlag, Zürich, 1979, S.21-22
Orelie: Nach Ihrem bestandenen Abitur im November desselben Jahres 1858 begannen Sie, Herr Cézanne, Jura an der Universität in Aix zu studieren, obwohl Sie Maler werden wollten und den heißen Wunsch hegten, in Paris an der Akademie des Beaux Arts aufgenommen zu werden. Sie unterrichteten Ihren Freund Zola und welche Antwort gab er Ihnen in einem Brief?
Paul Cézanne: Soll ich Dir Mut einflößen, damit Du das Bollwerk erstürmen kannst? Oder soll ich von Malerei und Zeichnung sprechen? Verwünschtes Bollwerk, verwünschte Malerei! Eins widersteht den Kanonen, das andere unterliegt dem väterlichen Veto. Wenn Du auf die Mauer losstürzt, ruft Dir Deine Schüchternheit zu «Du wirst nicht sehr weit kommen!» Wenn Du zu Deinen Pinseln greifst, sagt Dein Vater: «Mein Sohn, mein Sohn, denk an die Zukunft. Man stirbt mit Genie, und man isst mit Geld!» Ah! leider, leider, mein armer Cézanne, das Leben ist eine Kugel, die nicht immer dorthin rollt, wo die Hand sie hinstoßen möchte.
Ibid.,S.29-30
Orelie: Herr Émile Zola, Sie übten sich weiter in der Schriftstellerei und wälzten viele Gedanken in Ihrem Kopf herum. Doch es bekümmerte Sie auch sehr, dass Sie finanziell nicht abgesichert waren, dennoch wollten Sie das Schreiben um keinen Preis aufgeben. In einem Brief an Cézanne schütteten Sie Ihrem Freund Ihr Herz aus. Was schrieben Sie ihm?
Émile Zola: Seit einigen Tagen bin ich traurig, sehr traurig, und schreibe Dir, um mich zu zerstreuen. Ich bin sehr niedergeschlagen. Ich denke an die Zukunft, die so düster, so düster ist, dass ich voll Entsetzen davor zurückweiche. Kein Vermögen, kein erlernter Beruf, nichts als Mutlosigkeit. Niemand, auf den ich mich stützen kann, keine Weibsperson, kein Freund hier an meiner Seite. Überall nur Gleichgültigkeit und Verachtung. Das also bietet sich meinem Blick, wenn ich um mich herumschaue, und deshalb bin ich so niedergedrückt. Ich sehe mich von solch unbedeutenden und prosaischen Wesen umgeben, dass es mich freut, Dich zu kennen, der nicht unserm Jahrhundert angehört, der die Liebe erfinden würde, wenn sie nicht eine so alte Erfindung wäre. Ich rechne es mir zu einem gewissen Ruhm an, Dich verstanden zu haben und Dich Deinem Wert entsprechend zu schätzen. Lassen wir deshalb die Boshaften und die Neider. Da die Mehrzahl der Menschen dumm ist, werden die Spötter nicht auf unserer Seite sein. Aber was macht das, solange Du ebenso gern meine Hand drückst wie ich Deine.
Ibid,S.56
Orelie: Sie, Herr Cézanne, studierten weiterhin Jura an der Universität in Aix. Aber Sie hatten das starke Verlangen, Ihrer Malerei treu zu bleiben. Deshalb beabsichtigten Sie, Ihr Studium, das Sie auf Wunsch Ihres Vaters begonnen hatten, aufzugeben und nach Paris zu ziehen, um sich dort ganz dem Malen widmen zu können. Doch zögerten Sie und zweifelten immer wieder an Ihrer künstlerischen Schaffenskraft. Welchen Rat, gaben Sie, Herr Zola, Ihrem Freund?
Émile Zola: Als Dein Freund darf ich mir erlauben, ganz offen zu sein. In vieler Hinsicht gleichen sich unsere Charaktere, aber – potztausend! – wenn ich an Deiner Stelle wäre, hätte ich es bereits darauf ankommen lassen und alles aufs Spiel gesetzt, statt ungewiss zwischen zwei so verschiedenen Laufbahnen wie dem Atelier und der Advokatur hin und her zu schwanken. Du sagst, dass Du manchmal Deine Pinsel fortschleuderst, wenn Deine Ausdrucksform nicht Deiner Idee entspricht. Warum diese Entmutigung, diese Ungeduld? Nach jahrelangen Studien und unendlichen, nutzlosen Bemühungen würde ich sie verstehen. Wenn Du dann Deine Nichtigkeit und die Unmöglichkeit, etwas Gutes zu schaffen, einsehen würdest, tätest Du wohl daran, Palette, Leinwand und Pinsel zu vernichten. Da Du aber bisher nichts als den Wunsch zur Arbeit gehabt hast, hast Du kein Recht, Dich für unfähig zu halten. Also Mut!
Ibid,S.76
Orelie: Herr Cézanne, im April 1861 entschlossen Sie sich im Alter von 22 Jahren, nach Paris zu ziehen. Ihr Vater war der Meinung, dass Zola Sie von Ihrem Jurastudium abgebracht hatte. Er begleitete Sie nach Paris und hegte immer noch die Hoffnung, Sie davon abhalten zu können, Ihr Studium aufzugeben und einen in seinen Augen falschen Weg einzuschlagen. Aber Sie hatten sich nun dazu entschieden, Maler zu werden und studierten in Paris an der Académie Suisse, wo Sie für wenig Geld in einem Gemeinschaftsatelier die Aktmalerei ausüben konnten. Herr Cézanne, wie beurteilten Sie die Zeit in Paris?
Paul Cézanne: Mein Herz ist nicht sehr heiter gestimmt. Ich verzettle mein dürftiges Dasein nach rechts und links. Suisse nimmt mich von sechs Uhr bis elf Uhr morgens in Anspruch. Ich esse irgendwo für 15 Sous die Mahlzeit; das ist nicht üppig. Ich verhungere immerhin nicht. Ich dachte, als ich Aix verließ, dass ich die Langeweile, die mich verfolgt, weit hinter mir lassen würde. Doch habe ich nur den Ort gewechselt, und die Langeweile ist mir gefolgt. Ich habe meine Eltern, meine Freunde, einige meiner Gewohnheiten zurückgelassen, und das ist alles.
Ibid., S.86-87
Orelie: Zu Ihrer Betrübnis trug auch die Tatsache bei, dass Sie und Zola sich nicht so häufig sahen, wie Sie sich das gewünscht hätten. So plagte Sie mehr und mehr das Heimweh und Sie wollten Paris den Rücken kehren und nach Aix zurückgehen. Zwar waren Sie damit beschäftigt, ein Porträt von Ihrem Freund Zola zu malen. Aber Sie vernichteten es schließlich und kehrten nach Aix zurück. Die Freundschaft zwischen Ihnen beiden hatte gelitten. Doch fassten Sie den Entschluss, im September des kommenden Jahres, wieder nach Paris zu kommen. Können Sie aus dem Brief, den Zola Ihnen daraufhin schrieb, vorlesen?
Paul Cézanne: Die Hoffnung, bald Deine Hand drücken zu können, hat gewiss viel dazu beigetragen, meine Niedergeschlagenheit zu vertreiben. Ich weiß wohl, dass Deine Reise noch nicht ganz sicher ist, doch gestattest Du mir, zu hoffen, und das ist schon viel Wert. Ich billige durchaus Deinen Plan, zum Studium nach Paris zu kommen und Dich dann in die Provence zurückzuziehen. Ich glaube, dass dies gut dazu angetan ist, dem Einfluss der Kunstschulen zu entgehen und die eigene Originalität zu entwickeln, soweit man eine besitzt. Also um so besser für Dich und für uns, falls Du nach Paris kommen solltest. Wir können unser Leben so einrichten, dass wir wöchentlich zwei Abende zusammen verbringen und an allen andern arbeiten. Die gemeinsam verbrachten Stunden werden nicht verloren sein. Nichts flößt mir mehr Arbeitswillen ein, als ein wenig mit einem Freund zu plaudern. Ich erwarte Dich also.
Ibid, S.97-98
Orelie: Im Spätherbst 1862 kam Sie, Herr Paul Cézanne, wieder nach Paris, wo Sie sich nun für mehrere Jahre einrichteten. Sie erhielten von Ihrem Vater eine monatliche finanzielle Unterstützung und konnten sich somit ein eigenes Atelier leisten. Vormittags und abends studierten Sie wieder an der Académie Suisse. Mehrere Ihrer Gemälde reichten Sie beim Pariser Salon ein. Doch wurden sie von dessen Jury abgelehnt. Aber sie wurden auf dem gleichzeitig stattfindenden Salon des Refusés ausgestellt. In den Jahren 1863 und 1864 waren Gemälde von Ihnen auf dem Salon des Refusés zu sehen. Jedoch wurde im Jahr 1866 der Salon des Refusés nicht genehmigt und so warfen Sie, Herr Cézanne, der Jury des Pariser Salons vor, so manchem Künstler nun jeglichen Weg zum Erfolg zu versperren. Sie schrieben an den Superintendanten der Schönen Künste Émilien de Nieuwerkerke einen Brief. Können Sie aus diesem zitieren?
Paul Cézanne: Ich habe letzthin die Ehre gehabt, Ihnen betreffs der beiden Bilder zu schreiben, die die Jury mir soeben zurückgewiesen hat. Da Sie mir noch nicht geantwortet haben, glaube ich nachdrücklichst die Gründe betonen zu sollen, die mich veranlassten, mich an Sie zu wenden. Ich begnüge mich damit, Ihnen von neuem zu sagen, dass ich das unberechtigte Urteil von Kollegen, die ich nicht selbst damit beauftragt habe, mich zu begutachten, nicht anerkennen kann. Ich schreibe Ihnen also, um auf meiner Bitte zu bestehen. Ich verlange, an das Publikum zu appellieren und trotz allem ausgestellt zu werden. Mein Wunsch scheint mir in keiner Weise ungebührlich zu sein, und wenn Sie all die Maler, die sich in meiner Lage befinden, befragen würden, so würden Ihnen alle antworten, dass sie die Jury nicht anerkennen und dass sie auf die eine oder andere Art an einer Ausstellung teilnehmen wollen, die zwangsläufig jedem ernsthaft Arbeitenden offenstehen soll. Möge man also den Salon der Zurückgewiesenen wieder einführen.
Ibid, S.106