Interview: Brandt~Camus~Rahner~Sartre~Williams – Die Freiheit

Christa, 5 juillet 2014

fleurs

Orelie: Guten Tag, ich begrüße ganz herzlich die Schriftsteller Albert Camus, Jean-Paul Sartre und Tennessee Williams, den Theologen Karl Rahner und den Politiker Willy Brandt. Wir haben uns vorgenommen, über die Freiheit zu sprechen, ein großes Wort. Beginnen wir mit Ihnen, Herr Rahner, und lassen wir zuerst einmal die Theologie beiseite, und so frage ich Sie, was Sie unabhäging vom christlichen Verständnis der Freiheit zu dieser zu sagen haben?

Karl Rahner: Freiheit wird anfänglich gesehen als Freiheit von sozialem, wirtschaftlichem, politischem Zwang, als Gegensatz zur Sklaverei, zur Knechtschaft usw. Sie ist also zunächst eine Eigenschaft des den Staat mittragenden, ihn mitbestimmenden Bürgers einer unabhängigen Polis. Der Begriff wird dann individueller und innerlicher: Frei ist der, der die Autopraxia hat, der tun kann, was er will. Und diese Freiheit zu sich selbst als Nicht-gebunden-Sein durch Mächte, die einen sich selbst entfremden, wird immer mehr als auf eine Innerlichkeit beschränkt gesehen, wo der Mensch eben je er selber ist und sein kann.

Karl Rahner, Gnade als Freiheit, Herder Verlag, Freiburg im Breisgau, Juli 1968, S.32

Orelie: Herr Sartre, in Ihren frühen Werken, sieht der Mensch sich seiner individuellen Freiheit geradezu beraubt. Zu welcher Einsicht kommt Ihr alter-ego, Antoine Roquentin in Ihrem Roman Der Ekel?

Jean-Paul Sartre: Dann habe ich diese Erleuchtung gehabt. Das hat mir den Atem beraubt. Nie, vor diesen letzten Tagen, hatte ich geahnt, was das heißt « existieren ». Ich war wie die anderen, wie jene, die am Meer entlangspazieren, in ihrer Frühjahrsgarderobe. Ich sagte wie sie: « das Meer ist grün. »

Jean-Paul Sartre, Der Ekel, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, November 2013, S.200

Orelie: Sie, Herr Williams wollten genauso wie Jean-Paul Sartre schon in Ihren jungen Jahren Schriftsteller werden. Auf was kam es Ihnen hierbei an?

Tennessee Williams: Als ich ein junges Talent war und unter anderen jungen Talenten lebte, kannten wir kein Selbstmitleid. Natürlich wissen wir alle, dass das, was als Selbstmitleid gilt, eine der elementarsten Empfindungen der menschlichen Rasse ist. Doch wir hatten keine Zeit und die meisten von uns auch keine Neigung dazu, darin zu schwelgen. Was ich unter den Künstlern meiner Generation weit öfter beobachtete, war das Gefühl der Selbstachtung, zuweilen bis hin zu übertriebenem Stolz.

Tennessee Williams, Memoiren, Fischer Verlag, Frankfurt am Main, September 1979, S.15

Orelie: Diese Selbstachtung war gleichzeitig eine Reaktion auf Ihren harten Alltag, denn wie sah dieser aus?

Tennessee Williams: Es war das Jahr, wenige Jahre bevor mein Leben sich durch den Erfolg der Glasmenagerie ein für allemal änderte, in dem ich buchstäblich alles verpfänden musste, was ich besaß, inklusive einer alten, geliehenen Reise-Schreibmaschine, und alles andere an beweglichen alten und neuen Dingen, darunter meine sämtlichen Kleider außer einem schmutzigen Flanellhemd, einer Reithose und und einem Paar Reitstiefel, Relikte aus meiner Studienzeit. Und es war das Jahr, in dem ich wegen Mietrückstands, und es handelte sich immer um eine geringe Miete, aus einer Bleibe nach der anderen herausflog, und das Jahr, in dem ich mir auf der Straße eine Zigarette schnorren musste.

Memoiren, S.13

Orelie: Kommen wir zu Ihnen Herr Brandt, Sie sind seit Ihrer frühen Jugend in der Sozialdemokratie verwurzelt. In Ihrem Buch Links und frei machen Sie deutlich, inwiefern für die Arbeiterschaft die sozialen Umstände auch mit ihrer Freiheit verknüpft sind. Können Sie diesen Umstand erklären?

Willy Brandt: Ich habe nicht aus Büchern erfahren, sondern selbst erlebt, was das täglich Brot für breite Schichten des Volkes bedeutete. Doch zugleich habe ich auch früh gelernt, wieviel die Bewegung der Lohnarbeiter mit der alten Wahrheit zu tun hatte, dass der Mensch vom Brot allein nicht lebt. Die aufstrebende Arbeiterschaft suchte mehr als materielle Lebensinhalte. Die Arbeiterbewegung als Kulturbewegung hatte nicht allein mit einem Nachholbedarf zu tun. Sie entwickelte ihre eigenen Ansprüche und Ausdrucksformen.

Willy Brandt, Links und frei, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg, 2012, S.21-22

Orelie: Herr Camus, Sie widmen in Ihrem philosophischen Essay Der Mythos des Sisyphos der absurden Freiheit ein ganzes Kapitel. Was ist unter dieser Art der Freiheit zu verstehen?

Albert Camus: Das Problem der « Freiheit an sich » hat keinen Sinn. Es ist nämlich an das Gottesproblem gebunden. Deshalb vermag ich mich nicht der Lobpreisung oder der einfachen Definition eines Begriffes zu überlassen, der mir entgleitet und sinnlos wird, sobald er über den Rahmen meiner individuellen Erfahrung hinausgeht. Ich verstehe nicht, was eine Freiheit sein kann, die mir von einem höheren Wesen geschenkt wird. Die einzige Freiheit, die ich kenne, ist die des Geistes und des Handelns. Das Absurde macht zwar alle meine Chancen einer ewigen Freiheit zunichte, doch gibt es mir eine Handlungsfreiheit wieder und feiert sie. Dieser Verlust an Hoffnung und Zukunft bedeutet für den Menschen einen Zuwachs an Beweglichkeit.

Albert Camus, Der Mythos des Sisyphos, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Juni 2004, S.75-76

Orelie: Sie, Herr Sartre haben geschrieben, dass der Mensch dazu verurteilt ist, frei zu sein. Können Sie das erläutern?

Jean-Paul Sartre: Er ist verurteilt, weil er in die Welt geworfen ist, als verantwortliches Wesen, ohne Gnade. Von den ewigen Werten verlassen, müssen wir unsere eigenen Werte schaffen. « Grundlegende Wahl », choix fondamental, ist der Ausdruck, den ich benutze, um zu beschreiben, was in diesem Augenblick geschieht – ein Augenblick, der sich in Wirklichkeit über eine gewisse Zeitspanne erstreckt -, in dem ein Mensch etwas aus seinem Ich macht, aus diesem Ich, das bis dahin von anderen « gemacht » worden ist. Anfangs sind wir von anderen « gemacht », dann « machen » wir uns selbst « neu », ausgehend von dem, was andere aus uns gemacht haben. Aber in dem Moment, in dem wir uns selbst « neu machen », tritt eine Dialektik ein: wir sehen uns plötzlich ganz anders, als wir erwartet hatten, und auch, als die anderen von uns erwartet hatten. Das ist Freiheit, aber eben da das nichts Lustiges ist, benutze ich die Formulierung, « verurteilt, frei zu sein ».

Jean-Paul Sartre, Sartre über Sartre – Autobiographische Schriften, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Juli 1985, S.131

Orelie: Was können Sie, Herr Rahner, diesmal als Theologe hierauf sagen?

Karl Rahner: Die Freiheit hat einen theologischen Charakter nicht erst dann und dort, wo Gott explizit in kategorialer Gegenständlichkeit neben anderen Objekten vorgestellt wird, sondern immer und überall vom Wesen der Freiheit selber her, weil in jedem Akt der Freiheit Gott als ihr tragender Grund und letztes Woraufhin unthematisch gegeben ist. Für das christliche Verständnis der Freiheit ist es entscheidend, dass diese Freiheit nicht nur ermächtigt ist von Gott her und nicht nur auf ihn als den tragenden Horizont kategorialer Wahlfreiheit bezogen ist, sondern Freiheit Gott selbst gegenüber ist. Dies ist das schauervolle Geheimnis der Freiheit im christlichen Verständnis.

Gnade als Freiheit, S.34-35

Orelie: Und worin liegt die Schwierigkeit?

Karl Rahner: Dass die Freiheit eine solche gegenüber ihrem tragenden Grund selbst ist.

Gnade als Freiheit, S.35

Orelie: Wir haben nun über das Verständnis der Freiheit gesprochen, aber zu diesem gehört doch auch das menschliche Handeln. Was können Sie, Herr Karl Rahner dazu sagen?

Karl Rahner: Wir Christen müssen dialogfähig sein und den Dialog mit allen suchen, schon deshalb, weil der eine gesellschaftliche Raum auch der Raum der Freiheit aller sein muss. Im Widerspruch der Meinungen und sogar des Kampfes kann eben doch ein wirklich tiefstes Gemeinsames versöhnend walten: die Treue zur Verantwortung der Freiheit, die bedingungslose Achtung vor der Würde jedes Menschen, die Liebe zum Nächsten und zum Fernsten.

Gnade als Freiheit, S.82

Orelie: Sie, Herr Tennessee Williams waren oftmals der herrschenden Homophobie ausgesetzt, und es kam auch zu Handgreiflichkeiten gegen Sie. Was müsste sich ändern, damit jeder Mensch in Freiheit leben kann?

Tennessee Williams: Es gibt einen neuen Journalismus, einen neuen Stil sowohl beim Film wie im Theater und auch einen neuen Rezensionsstil, ja, praktisch ist alles und jedes, womit wir leben, einem neuen Stil unterworfen, doch was uns, meiner Meinung nach, am allermeisten not tut, ist eine neue Moral. Ich glaube, wir sind an einem Punkt angelangt, an dem diese neue Moral zur zwingenden Notwendigkeit wird, um das Leben in erträglicher Form fortzusetzen.

Memoiren, S.289

Orelie: Herr Sartre, wollen Sie hierzu etwas sagen?

Jean-Paul Sartre: Es gibt heute kein wirkliches Moralsystem, weil die Existenzbedingungen für ein solches System nicht vorhanden sind. Die Menschen sind unsichtbar füreinander. Zu viele Sozialstrukturen verstellen ihnen den Blick. Die Bedingungen, die die Menschen für eine neue Gesellschaftsordnung empfänglich machen könnten, sind nicht vorhanden. In einer Gesellschaft wie der unseren versperrt die Masse der sozialen Strukturen – um von besonderen Schicksalen und persönlichen Zwängen gar nicht zu sprechen – unweigerlich den Weg zum gegenseitigen Verständnis.

Sartre über Sartre, S.135

Orelie: Herr Camus, worauf kommt es für Sie an, damit die Freiheit an Boden gewinnt?

Albert Camus: Es gibt keine Idealfreiheit, die uns eines Tages mit einem Schlag geschenkt würde. Die Freiheiten müssen erkämpft werden, eine nach der anderen, und die uns verbleibenden sind Etappen, unzureichende, gewiss, aber doch Etappen auf dem Weg zu einer greifbaren Befreiung.

Albert Camus, Verteidigung der Freiheit, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Juli 1997, S.52

Orelie: Sie, Herr Brandt trugen mehrfach die Regierungsverantwortung. Was können Sie abschließend sagen?

Willy Brandt: Wer, wie ich, 1913 geboren wurde, kann sich über einen Mangel an schlimmer Erfahrung und bitterer Enttäuschung nicht beklagen. Doch hat das Jahrhundert nicht auch ermutigende Beweise bereitgehalten? Den Menschen ist die Fähigkeit gegeben, sich zu befreien aus Elend und Not. Den Menschen ist auch die Fähigkeit gegeben, sich aufzulehnen gegen Unterdrückung und Zwangsherrschaft. Dabei überschätze ich nicht die Möglichkeit der Völker, die Fehler derer zu korrigieren, die mit Verstand zu regieren verpflichtet wären.

Willy Brandt, Erinnerungen, Ullstein Verlag, Berlin,Frankfurt/M., November 2003, S.496

Orelie: Ich danke Ihnen allen für dieses Gespräch

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