Interview: Einstein – Überzeugungen

Christa, 12 août 2023

Orelie: Guten Tag, Herr Albert Einstein. Ich freue mich, dass Sie zu diesem Gespräch gekommen sind, in dem wir über einige Ihrer Grundüberzeugungen sprechen werden. Sie sind ein konsequenter Verteidiger der demokratischen Staatsform und flohen 1933 aus Nazi-Deutschland, wo Sie sich Ihres Lebens nicht mehr sicher waren. Wie beurteilen Sie ein individuelles Gewissen, das sich gegen eine solche Willkür nicht auflehnt?

Albert Einstein: Du kannst nicht für solche Handlungen verantwortlich gemacht werden, die unter unwiderstehlichem Zwang zustande kommen. Man braucht dies nur deutlich auszusprechen, um zu bemerken, wie sehr eine solche Auffassung dem normalen Rechtsgefühl widerstreitet. Äußerer Zwang kann die Verantwortung des Individuums in gewissem Sinn mildern, aber nicht aufheben. Bei Gelegenheit der Nürnberger Prozesse hat man diesen Standpunkt gewissermaßen als selbstverständlich eingenommen.

Albert Einstein, Mein Weltbild, Ullstein Verlag, Zürich, 2014, S.16

Orelie: Was ist für Sie für die Aufrechterhaltung der Demokratie eine unerlässliche Notwendigkeit?

Albert Einstein: Was an unseren Institutionen, Gesetzen und Sitten moralisch wertvoll ist, stammt aus den Äußerungen des Rechtsgefühls zahlloser Individuen. Einrichtungen sind im moralischen Sinn ohnmächtig, wenn sie nicht durch das Verantwortungsgefühl lebendiger Individuen gestützt und getragen werden. Das bestreben, das moralische Verantwortungsgefühl der Individuen zu wecken und zu stützen, ist daher wichtiger Dienst an der Gesamtheit.

Ibid

Orelie: Sie, Herr Einstein, sind Naturwissenschaftler. Was sollte ein solcher zu diesem Dienst beitragen?

Albert Einstein: In unserer Zeit lastet auf den Vertretern der Naturwissenschaften und auf den Ingenieuren eine besonders große moralische Verantwortung, da die Entwicklung der Werkzeuge militärischer Massenvernichtung in das Gebiet ihrer Tätigkeit fällt. Deshalb erscheint mir die Gründung einer „Society for Social Responsibility in Science” einem wahren Bedürfnis zu entsprechen. Solche Vereinigung erleichtert es durch Diskussion der Probleme dem einzelnen, sich zu einem selbständigen Urteil durchzuringen über den von ihm zu wählenden Weg. Ferner ist gegenseitige Hilfe derer dringend nötig, die dadurch in eine schwierige Lage kommen, dass sie der Stimme ihres Gewissens folgen.

Ibid, S.17

Orelie: Am 6. Januar 1951 hielten Sie anlässlich des fünfundsiebzigsten Jahrestags der Gründung der „Society for Ethical Culture” einen Vortrag über „Die Notwendigkeit der ethischen Kultur”. Was möchten Sie hierzu sagen?

Albert Einstein: Man kann nicht behaupten, dass die moralische Gestaltung des menschlichen Lebens im großen heute vollkommener ist als im Jahre 1876. Ich glaube sogar, dass die Überbetonung der rein intellektuellen, oft nur auf das Faktische und Praktische gerichteten Einstellung in unserer Erziehung direkt zu einer Gefährdung der ethischen Werte geführt hat. Ich denke dabei nicht so sehr an die Gefahren, die der technische Fortschritt den Menschen direkt gebracht hat, als an die Überwucherung der gegenseitigen menschlichen Rücksichten durch ein „matter of fact”-Denken, das sich wie ein erstarrender Frost über die menschlichen Beziehungen gelegt hat. Die moralische und ästhetische Vervollkommnung ist ein Ziel, das den Bemühungen der Kunst näher steht als denen der Wissenschaft.

Ibid., S.23

Orelie: Und die Erziehung, welche Ziele sollte sie verfolgen?

Albert Einstein: Es ist nicht genug, den Menschen ein Spezialfach zu lehren. Dadurch wird er zwar zu einer Art benutzbarer Maschine, aber nicht zu einer vollwertigen Persönlichkeit. Es kommt darauf an, dass er ein lebendiges Gefühl dafür bekommt, was zu erstreben wert ist. Er muss einen lebendigen Sinn dafür bekommen, was schön und was moralisch gut ist. Sonst gleicht er mit deiner spezialisierten Fachkenntnis mehr einem wohlabgerichteten Hund als einem harmonisch entwickelten Geschöpf. Er muss die Motive der Menschen, deren Illusionen, deren Leiden verstehen lernen, um eine richtige Einstellung zu den einzelnen Mitmenschen und zur Gemeinschaft zu erwerben.

Ibid., S.27

Orelie: Herr Albert Einstein, hierbei kommt es auf die Schule und was sie den heranwachsenden Menschen vermittelt an. Was wollen Sie hierzu sagen?

Albert Einstein: Diese wertvollen Dinge werden der jungen Generation durch den persönlichen Kontakt mit den Lehrenden, nicht – oder wenigstens nicht in der Hauptsache – durch Textbücher vermittelt. Dies ist es, was Kultur in erster Linie ausmacht und erhält. Diese habe ich im Auge, wenn ich die „humanities” als wichtig empfehle, nicht einfach trockenes Fachwissen auf geschichtlichem und philosophischem Gebiet.

Ibid., S.42

Orelie: Kommen wir noch darauf zu sprechen, wie das in der Tat umgesetzt werden sollte.

Albert Einstein: Überbetonung des kompetitiven Systems und frühzeitiges Spezialisieren unter dem Gesichtspunkt der unmittelbaren Nützlichkeit töten den Geist, von dem alles kulturelle Leben und damit auch die Blüte der Spezialwissenschaften abhängig ist. Zum Wesen einer wertvollen Erziehung gehört es ferner, dass das selbständige kritische Denken im jungen Menschen entwickelt wird, eine Entwicklung, die weitgehend durch Überbürdung mit Stoff gefährdet wird. Überbürdung führt notwendig zu Oberflächlichkeit und Kulturlosigkeit. Das Lehren soll so sein, dass das Dargebotene als wertvolles Geschenk und nicht als saure Pflicht empfunden wird.

Ibid., S.57

Orelie: Herr Albert Einstein, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

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