Interview: Steinbeck – Früchte des Zorns

Christa, 14 février 2014

zorns

Orelie: Guten Tag, Herr John Steinbeck, ich freue mich, dass Sie zu diesem Gespräch gekommen sind, in dem wir über Ihren Roman Früchte des Zorns sprechen wollen. Ihr Roman hat nicht nur die Geschichte der Familie Joad zum Inhalt, sondern ist auch eine soziale Studie, in der Sie die wirtschaftlichen Schwierigkeiten in den 1930er Jahren in dem US-Bundesstaat Oklahoma aufzeigen. Sie beginnen mit der Beschreibung der Trockenperiode und den entstehenden Dust Bowl. Was haben diese für Folgen?

John Steinbeck: In den Wasserrinnen trocknete die Erde zu Staub, zu trockenen kleinen Strömen. Ein Tag verging, und der Wind wurde, gleichmäßig und ohne Stoßböen, immer stärker. Der Staub flog von den Straßen auf und breitete sich aus und fiel auf das Unkraut am Rande der Felder. Dann wurde der Wind noch stärker und heftiger und griff auch die Regenkruste in den Kornfeldern an. Nach und nach verdunkelte sich der Himmel vom Staub, und der Wind strich über die Erde, lockerte den Staub und trug ihn davon. Als die Nacht wiederkam, war es schwarze Nacht; denn die Sterne konnten den Staub nicht durchdringen. Jetzt war der Staub gleichmäßig mit der Luft vermischt. Die Häuser wurden dicht verschlossen und Tücher um die Fenster und Türen gelegt, aber der Staub drang doch herein, so dünn, dass er gar nicht zu sehen war, und er legte sich wie Pollen auf die Teller, auf die Tische und Stühle. Die Leute wischten ihn sich von den Schultern. Kleine Wälle von Staub lagen auf den Türschwellen.

John Steinbeck, Früchte des Zorns, Deutscher Taschenbuch Verlag, München, September 2007, S.7-9

Orelie: Die Farmer mit wenigen Hektar Land und die Pächter sahen sich aufgrund dieser Trockenheit ihrer Existenzgrundlage beraubt. Und sie hatten kein Geld. Was für einen Vorschlag machten ihnen die Landbesitzer?

John Steinbeck: Das tut uns leid, sagten die Landbesitzer. Die Bank, der fünfzigtausend Hektar gehören, kann dafür keine Verantwortung übernehmen. Ihr befindet euch auf Land, das nicht euch gehört. Wenn ihr einmal über der Grenze seid, könnt ihr vielleicht Baumwolle pflücken im Herbst. Vielleicht kriegt ihr auch Wohlfahrt. Weshalb geht ihr nicht nach Westen, nach Kalifornien? Dort gibt’s Arbeit, und es wird nie kalt. Ihr braucht bloß die Hand auszustrecken und könnt euch überall eine Orange pflücken. Dort gibt’s immer irgendeine Ernte, wo ihr arbeiten könnt.

Früchte des Zorns, S.43

Orelie: Deshalb verlässt auch die Familie Tom Joad das Land, obwohl es ihr sehr schwer fällt, es zu verlassen. Warum bezeichnen  Sie die Beziehung dieser Menschen zum Land als ein Wunder, das ein Traktorfahrer nicht nachempfinden kann?

John Steinbeck: Der Traktor ist tot. Und das ist einfach und bequem. So einfach, dass das Wunder aus der Arbeit schwindet, so bequem, dass das Wunder aus dem Land und seiner Bearbeitung schwindet und mit dem Wunder das tiefe Verständnis und die Beziehung. Der Mensch, der über die Erde geht, der wegen eines Steines seiner Pflugschar eine Drehung gibt, der die Handgriffe niederdrückt, um die Schollen umzuwerfen, der sich auf die Erde kniet, um sein Vesperbrot zu essen – dieser Mensch, der mehr ist als seine Elemente, weiß, dass auch das Land mehr ist als seine Analyse.

Früchte des Zorns, S.141

Orelie: Gewöhnten sich die vertriebenen Familien an die Route 66, die sie nahmen, um nach Westen zu fahren?

John Steinbeck: Die Straße wurde ihre Heimat und Bewegung ihr Ausdrucksmittel. Hier ist Texas zu Ende. New Mexico und die Berge. In der Ferne, eine Wellenlinie am Horizont, die Berge. Und die Räder der Wagen krachten, die Motoren waren heiß, und Dampf schoß aus den Kühlern hoch. Sie krochen zum Pecos, überquerten ihn bei Santa Rosa. Und sie fuhren noch zwanzig Meilen weiter.

Früchte des Zorns, S.196

Orelie: Wie nennen Sie von nun an diese Menschen?

John Steinbeck: Sie waren keine Farmer mehr, sie waren Wanderer. Und das Planen, das lange Schweigen und die Gedanken, die früher hinausgegangen waren auf die Felder, gingen jetzt auf die Straße, in die Ferne, nach Westen. Der Mann, der früher in Äckern gedacht hatte, dachte jetzt in engen Straßenmeilen. Und seine Gedanken und seine Sorgen waren nicht mehr der Regen, der Wind und der Staub und die Ernte. Seine Augen untersuchten die Reifen, seine Ohren lauschten auf das Klappern der Motoren, und seine Sorgen galten dem Öl, dem Benzin und dem dünner werdenden Gummi zwischen der gepressten Luft und der Straße.

Früchte des Zorns, S.234

Orelie: Die Familie Joad und der ehemalige Prediger Jim Casy machen in einem Camp halt, in dem sie von einem zerlumpten Mann zum ersten Mal erfahren, dass die Arbeitslöhne in Kalifornien auf unlautere Weise gedrückt werden. Wie geschieht das, wo doch auf den verteilten Handzetteln von guten Löhnen die Rede ist?

John Steinbeck: „Pass auf”, sagte der Mann, „dieser Kerl braucht achthundert Leute. Er druckt fünftausend von diesen Dingern, und vielleicht zwanzigtausend Leute sehen sie. Dann machen sich vielleicht zwei- bis dreitausend Leute auf den Weg wegen diesen Handzetteln. Leute, die weg müssen und schon ganz verrückt sind, weil sie nicht wissen, wohin.” „Aber wozu denn das?” rief Vater. „Das wirst du kapieren, wenn du den Burschen siehst, der diese Handzettel rausgeschickt hat. Er braucht vielleicht zweihundert Leute, aber er redet mit fünfhundert, und die erzählen’s wieder andern, und wenn du hinkommst, dann sind tausend Leute da. Der Bursche sagt:„Ich zahle zwanzig Cents pro Stunde.” Und vielleicht die Hälfte von den Leuten gehen weg. Aber es bleiben immer noch fünfhundert da, die so verdammten Hunger haben, dass sie auch für nichts andres wie’n bisschen Zwieback arbeiten würden. Ja, und dieser Bursche hat mit dem Landbesitzer einen Vertrag abgeschlossen, dass die Pfirsiche gepflückt werden oder die Baumwolle oder was es grade ist. Verstehst du’s jetzt? Je mehr Leute er kriegt und je hungriger sie sind, desto weniger braucht er zu zahlen. Und er sucht sich Leute mit Kindern aus, wenn er kann, weil … verdammt, und ich sage, ich will’s euch nicht miesmachen!”

Früchte des Zorns, S.227-228

Orelie: Die Familie Joad kommt schließlich nach Kalifornien und sieht Kornfelder, Orangenhaine, aber auch brachliegendes Land. Aber sie und die anderen Familien werden als Okies beschimpft und müssen schnell feststellen, dass sie nicht erwünscht sind, sich hier nicht niederlassen dürfen und ihre Arbeitskraft nur zeitweise für einen Lohn verkaufen können, von dem sie nicht einmal satt werden können. Der zerlumpte Mann in dem Camp hatte recht gehabt. Noch dazu fällt die Familie auseinander. Der Großvater ist schon gestorben, und die Großmutter stirbt kurz nach der Ankunft in Kalifornien. Der Sohn Noah trennt sich von der Familie und geht flussabwärts, und Connie, der Mann der schwangeren Tochter Rose von Sharon, auch Rosasharn genannt, macht sich davon. Und nun komme ich auf den Protagonisten Ihres Romans, auf Tom Joad, zu sprechen, der in John Fords Verfilmung von Henry Fonda dargestellt wurde. Er ist der älteste Sohn, hat in Notwehr einen Menschen getötet und nach vier Jahren aufgrund guter Führung Bewährungsfrist bekommen. Als er nach Hause kommt, ist seine Familie schon weggegangen, um nach Kalifornien zu gelangen. Tom findet sie noch rechtzeitig, um mit ihr in einem Lastwagen den beschwerlichen, langen Weg auf der Route 66 bis Kalifornien zu machen. Er hilft, wo er kann. Aber es ist eine große Verantwortung für ihn, wie  kommt er damit zurecht?

John Steinbeck: Die Verantwortung belastete ihn. „Das gefällt mir nicht”, sagte er. „Ich möchte ausgehn wie Al. Und ich möchte wild werden wie Vater, und ich möchte mich besaufen wie Onkel John.” Mutter schüttelte den Kopf. „Das kannst du nicht, Tom. Ich weiß es. Ich hab’es schon gewusst, wie du noch’n kleiner Kerl warst. Du kannst es nicht. Es gibt Leute, die sind nur sie selbst und nichts weiter und nicht mehr. Unser Al – der ist nur’n junger Bursche, wo hinter Mädchen herläuft. Du bist nie so gewesen, Tom.” „Doch, ich bin so gewesen”, sagte Tom. „Und ich bin auch noch so.” „Nein, bist du nicht. Alles, was du machst, ist mehr als du. Wie sie dich ins Gefängnis geschickt haben, habe ich’s gewusst, du bist was Besondres.”

Früchte des Zorns, S.416

Orelie: Tom sieht Jim Casy wieder, der  sich den Streikenden angeschlossen hat, weil ihnen der versprochene Lohn um die Hälfte gekürzt worden war. Während Tom sich mit Casy unterhält, hören sie plötzlich Stimmen. Zwei Männer tauchen in der Dunkelheit auf, und ohne dass Casy sich zur Wehr setzen kann, wird er von einem der beiden, einem kleinen stämmigen Mann, mit einem Totschläger brutal erschlagen. Dann leuchtet der Mann mit einer Blendlaterne auf Casys zertrümmerten Kopf. Was tut Tom?

John Steinbeck: Tom blickte hinunter auf den Prediger. Das Licht fiel auf die Beine des stämmigen Mannes und auf den neuen weißen Totschläger. Tom sprang lautlos auf ihn zu und entwand ihm den Knüppel. Das erstemal schlug er fehl und traf eine Schulter, aber das zweitemal krachte der Schlag auf den Kopf nieder, und als der schwere Mann zu Boden sank, trafen noch drei weitere Schläge seinen Kopf.

Früchte des Zorns, S.454

Orelie:  Tom spricht mit seiner Familie über seine Tat. Wie reagiert sie auf Toms Geständnis?

John Steinbeck: Toms Augen blickten verzweifelt zurück in den Abend, die Dunkelheit, die Strahlen der Blendlaterne, und er sagte: „Ich…ich habe einen von den Kerlen geschlagen.” Mutter hielt den Atem an. Vaters Gesicht wurde hart. „Tot?” „Ich…weiß nicht. Ich war verrückt. Wollte ihn umbringen. Casy war immer noch ein – guter Mann. Verdammt, ich kann das Bild nicht aus dem Kopf kriegen, wie er dagelegen hat… den Kopf ganz breit gequetscht. Und dann das Blut. Lieber Gott!” Er bedeckte sich die Augen mit der Hand. „Na, und was machen wir nun?” fragte Onkel John. Al stand auf. „Ich weiß, was ich mache. Ich haue ab.” „Nein, das machst du nicht, Al”, sagte Tom. „Wir brauchen dich jetzt. Ich bin derjenige, wo abhaut. Ich bin jetzt ‘ne Gefahr für euch. Sowie ich auf den Beinen bin, haue ich ab.”

Früchte des Zorns, S.458-459

Orelie: Tom versteckt sich, aber bevor er für längere Zeit weggeht, kommt es noch zu einem Gespräch zwischen ihm und seiner Mutter, was vertraut er ihr an?

John Steinbeck: „Casy hat gesagt, mal ist er in die Wildnis gegangen, um seine Seele zu finden, und er hat nur gefunden, dass er für sich alleine gar keine Seele hat. Er hat gesagt, er hat gefunden, dass er einfach ein kleines Stück von ‘ner großen Seele hat. Er hat mal was aus der Schrift gesagt:  -Und wenn zwei beieinanderliegen, so haben sie es warm. Aber wie kann einer alleine es warm haben? Und wenn einer ihn beherrschet, so sollen zwei sich widersetzen, ein dreifaches Seil ist nicht schnell zu zerbrechen.-” „Und das ist aus der Schrift?” „Ja, Casy hat’s gesagt. Aus dem „Prediger”, hat er gesagt.” „Tom”, sagte Mutter, „was willst du denn machen?” „Was Casy gemacht hat.” „Und, Tom, später – wenn alles vorbei ist, dann kommst du zurück. Du wirst uns schon finden.” „Natürlich”, sagte er.

Früchte des Zorns, S.490-492

Orelie: Herr Steinbeck, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

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