Interview: Nietzsche~Rahner – Der Antichrist

Christa, 4 décembre 2016

stehlampe

Orelie: Guten Tag Herr Friedrich Nietzsche und Herr Karl Rahner. Ich freue mich, dass Sie zu diesem Gespräch gekommen sind. Sie Herr Nietzsche, erheben starke Vorwürfe gegenüber dem Christentum und haben das Buch Der Antichrist geschrieben. Was war hierbei Ihre Motivation?

Friedrich Nietzsche: Man muss rechtschaffen sein in geistigen Dingen bis zur Härte, um auch nur meinen Ernst, meine Leidenschaft auszuhalten. Man muss gleichgültig geworden sein, man muss nie fragen, ob die Wahrheit nützt, ob sie einem Verhängnis wird. Eine Vorliebe der Stärke für Fragen, zu denen niemand heute den Mut hat; der Mut zum Verbotenen. Die Ehrfurcht vor sich ; die Liebe zu sich; die unbedingte Freiheit gegen sich.

Friedrich Nietzsche, Der Antichrist, Versuch einer Kritik des Christentum, Insel Verlag, Frankfurt am Main, 1986, S.9

Orelie: Was wollen Sie Herr Rahner als gläubiger Christ hierauf antworten?

Karl Rahner: Es wird nach dem Wesentlichen im Glaubensinhalt und im Glaubensvollzug gefragt. Dabei wird vor allem darauf geachtet, den Glauben dem Menschen von heute so zu vermitteln, dass er ihn aufgrund seines Lebensgefühls weder als Ideologie noch als Mythos gerinschätzig abtun kann. Es wird immer am konkreten Lebensvollzug angesezt. Deshalb auch allem voran die skeptische Frage: Was ist der Mensch?

Karl Rahner, Wagnis des Christen, Herder Verlag, Freiburg im Breisgau, 1974, S.5

Orelie: Und so frage ich Sie, was ist der Mensch?

Karl Rahner: Ich meine: der Mensch ist die Frage, auf die es keine Antwort gibt. Man muss angesichts der Unbegreiflichkeit, die eine Frage verwehrt, auf eine solche Antwort verzichten, sich also in diese Unbegreiflichkeit als in die wahre Erfüllung und Seligkeit fallen lassen. Dieses unverständliche Wagnis, das alle Frage hinwegfegt nennt man gewöhnlich die Liebe zu Gott. Sie allein lässt die Finsternis licht sein. Man denke sich unter Liebe nicht irgend etwas, was man davon von anderswoher zu verstehen meint, sondern nehme eben diese Beschreibung des Sichfallenlassens in das Unbegreifliche als die Definition der Liebe.

Wagnis des Christen, S.23

Orelie: Und so stelle ich die gleiche Frage an Sie Herr Nietzsche, was ist der Mensch?

Friedrich Nietzsche: Die Menschheit stellt nicht eine Entwicklung zum Besseren oder Stärkeren oder Höheren dar, in der Weise, wie dies heute geglaubt wird. Der Fortschritt ist bloß eine moderne Idee, das heißt eine falsche Idee. In einem andren Sinne gibt es ein fortwährendes Gelingen einzelner Fälle an den verschiedensten Stellen der Erde und aus den verschiedensten Kulturen heraus, mit denen in der Tat sich ein höherer Typus darstellt; etwas, das im Verhältnis zur Gesamt-Menschheit eine Art Übermensch ist. Solche Glücksfälle des großen Gelingens waren immer möglich und werden vielleicht immer möglich sein. Und selbst ganze Geschlechter, Stämme, Völker können unter Umständen einen solchen Treffer darstellen.

Der Antichrist, S.13-14

Orelie: Die Lehre des Christentums beurteilen Sie bei einer Entwicklung zu diesem höheren Typus Mensch sehr negativ. Können Sie das erklären?

Friedrich Nietzsche: Das Christentum hat einen Todkrieg gegen diesen höheren Typus Mensch gemacht, es hat alle Grundinstinkte dieses Typus in Bann getan, es hat aus diesen Instinkten das Böse, den Bösen herausdestilliert: – der starke Mensch als der typisch Verwerfliche. Das Christentum hat die Partei alles Schwachen, Niedrigen, Missratnen genommen. Es hat die Vernunft selbst der geistig stärksten Naturen verdorben, indem es die obersten Werte der Geistigkeit als sündhaft lehrte.

Der Antichrist, S.14

Orelie: Herr Karl Rahner, was können Sie hierauf sagen?

Karl Rahner: Gewiss: nichts zu sagen gegen mehr Gesundheit, Reichtum, Freizeit und ähnliche Ideale der heutigen Menschheit. Aber es bleiben: Schmerz, Alter, Krankheit, Enttäuschung in der Ehe, an den Kindern, im Beruf und schließlich der Tod, dem keiner entgeht und der schon das Leben durchherrscht. Die Frage kann somit nur sein, wie man mit dieser Wirklichkeit des Leides und des Todes fertig wird. Zynismus und Stoizismus reichen nicht weit.

Wagnis des Christen, S.112

Orelie: Aber gerade mit dem christlichen Gott gehen Sie, Herr Nietzsche, sehr hart zu Gericht?

Friedrich Nietzsche: Der christliche Gottesbegriff – Gott als Krankengott, Gott als Spinne, Gott als Geist – ist einer der korruptesten Gottesbegriffe, die auf Erden erreicht worden sind; er stellt vielleicht selbst den Pegel des Tiefstands in der absteigenden Entwicklung des Götter-Typus dar. Gott zum Widerspruch des Lebens abgeartet, statt dessen Verklärung und ewiges Ja zu sein! In Gott dem Leben, der Natur, dem Willen zum Leben die Feindschaft angesagt! Gott die Formel für jede Verleumdung des Diesseits, für jede Lüge vom Jenseits! In Gott das Nichts vergöttlicht, der Wille zum Nichts heilig gesprochen!

Der Antichrist, S.33

Orelie: Herr Rahner, was wollen Sie hierauf antworten und wie erleben Sie selbst Gott?

Karl Rahner: Ich weiß, dass mit diesem Wort ungeheuerlicher Unfug getrieben wurde, weil mit diesem Namen Grässliches und Törichtes genug gerechtfertigt wurde. Ich sage: Der letzte Grund meiner Hoffnung im Akt der bedingungslosen Annahme meiner Existenz als sinnvoll wird von mir Gott genannt. Er wird damit nicht die Projektion meiner Hoffnung ins Leere hinein. Denn einerseits wird im selben Augenblick, da ich Gott als meine Projektion denke, Gott für mich sinnlos und unwirksam im Leben; und andererseits kann ich den Grund meiner Hoffnung so wenig wie diese selbst aufgeben. Gott muss der Wirklichste und alles tragend Umfassende sein, damit er Grund und Ziel in einem für die Hoffnung sein könne, die in der vertrauenden Grundannahme des Daseins gesetzt wird. Dieser Gott ist aber in einem das unbegreifliche Geheimnis.

Wagnis des Christen, S.29

Orelie: Was können Sie Herr Nietzsche über Jesus Christus sagen?

Friedrich Nietzsche: Das Wort schon Christentum ist ein Missverständnis -, im Grunde gab es nur Einen Christen, und der starb am Kreuz. Das Evangelium starb am Kreuz. Was von diesem Augenblick an Evangelium heißt, war bereits der Gegensatz dessen, was er gelebt: eine schlimme Botschaft, ein Dysangelium. Es ist falsch bis zum Unsinn, wenn man in einem Glauben, etwa im Glauben an die Erlösung durch Christus, das Abzeichen des Christen sieht: bloß die christliche Praktik, ein Leben so wie der, der am Kreuze starb, es lebte, ist christlich.

Der Antichrist, S.69

Orelie: Und nun frage ich Sie Herr Rahner: wer ist Jesus Christus?

Karl Rahner: Der Christ ist in seinem Glauben davon überzeugt, dass diese Frage, die das Geheimnis stellt und uns damit selber in Frage stellt, letztlich und gewiss und geschichtlich greifbar nur beantwortet werden kann durch den einen Menschen, von dem wir getrost glauben können, dass er in seinem Leben und Sterben des Menschen eine Frage und Gottes Antwort darauf in einem ist, durch Jesus von Nazaret. Wir glauben an Jesus, den Christus, das heißt an die in seinem Leben glaubwürdig ergangene Selbstzusage Gottes in Vergebung und ewigem Leben.

Wagnis des Christen, S.45-47

Orelie: Was können Sie, Herr Friedrich Nietzsche, in Hinsicht auf die christliche Hoffnung sagen?

Friedrich Nietzsche: Die Begriffe Jenseits, Jüngstes Gericht, Unsterblichkeit der Seele, die Seele selbst: es sind Folter-Instrumente, es sind Systeme von Grausamkeiten, vermöge deren der Priester Herr wurde, Herr blieb.

Der Antichrist, S.68

Orelie: Herr Karl Rahner, was möchten Sie hierauf antworten?

Karl Rahner: Niemand zwingt uns zu dieser glaubenden Annahme der Antwort Gottes, die Jesus, der Gekreuzigte und Auferstandene ist. Aber niemand kann uns auch davon überzeugen, dass es eine andere, bessere und umfassendere Antwort auf die Frage gibt, die unausweichlich und unerbittlich von unserem Leben selbst gestellt wird, auch dann noch, wenn wir versuchen, diese Frage zu überhören. Diese Antwort beantwortet uns nicht die tausend Fragen einzelner Art, die uns unser Leben stellt. Wir haben aber den Mut glaubender Hoffnung, mit Jesu Tod in den Abgrund Gottes zu fallen als in unsere eigene Endgültigkit, Heimat und unser ewiges Leben.

Wagnis des Christen, S.47

Orelie: Ich danke Ihnen beiden für dieses Gespräch.

,