Interview: Kafka~Williams – Im Bann des Schreibens
Christa,
7 mars 2014
Orelie: Guten Tag, Herr Franz Kafka und Herr Tennessee Williams. Für Sie beide, wie für die meisten großen Schriftsteller, ist das Schreiben eine Lebensnotwendigkeit. Was bedeutet für Sie, Herr Williams die Tatsache ein Schriftsteller zu sein?
Tennessee Williams: Was heißt es wohl, Schriftsteller zu sein? Ich würde sagen, es heißt, frei zu sein. Frei sein heißt, das Ziel des Lebens erreicht zu haben. Es bedeutet zugleich eine beliebige Anzahl von Freiheiten. Es bedeutet die Freiheit zu pausieren, falls einem danach ist, zu verreisen, wann und wohin es einem gefällt, es bedeutet, fluchtartig Hotels zu verlassen, glücklich oder traurig, hemmungslos und ohne großes Bedauern. Es bedeutet die Freiheit zu sein, und, wie jemand sehr klug bemerkt hat: Wenn du nicht du selbst sein kannst, was hat es dann für einen Sinn, überhaupt irgend etwas zu sein?
Tennessee Williams, Memoiren, Fischer Verlag, Frankfurt am Main, September 1979, S.289
Orelie: Für Sie, Herr Kafka, ist das Schreiben ebenso lebenswichtig. Doch ist es gleichzeitig ein schweres Problem. In Ihrem Tagebuch schreiben Sie, dass Ihr Leben als Schriftsteller, ein schreckliches Doppelleben für Sie bedeutet. Können Sie uns das erklären?
Franz Kafka: Wie ich heute aus dem Bett steigen wollte bin ich einfach zusammengeklappt. Es hat das einen sehr einfachen Grund, ich bin vollkommen überarbeitet. Nicht durch das Bureau aber durch meine sonstige Arbeit. Das Bureau hat nur dadurch einen unschuldigen Anteil daran, als ich, wenn ich nicht hinmüsste, ruhig für meine Arbeit leben könnte und nicht diese 6 Stunden dort täglich verbringen müsste, die mich besonders Freitag und Samstag, weil ich voll meiner Sachen war gequält haben, dass Sie es sich nicht ausdenken können. Nur ist es eben für mich ein schreckliches Doppelleben, aus dem es wahrscheinlich nur den Irrsinn als Ausweg gibt.
Franz Kafka, Tagebücher 1909-1912, Fischer Verlag, Frankfurt am Main, Juni 2008, S.26
Orelie: Sie stellen beim Schreiben auch sehr hohe Anforderungen an sich selbst, und ist es daher nicht allzu leicht verständlich, dass die Angst Sie überkommt, diesen nicht gerecht werden zu können?
Franz Kafka: Ich fühle allzusehr die Grenzen meiner Fähigkeit, die, wenn ich nicht vollständig ergriffen bin, zweifellos nur eng gezogen sind. Und ich glaube selbst im Ergriffensein nur in diese engen Grenzen gezogen zu werden, die ich dann allerdings nicht fühle, da ich gezogen werde. Ich bin heute sehr stark zurückgewichen. Aber ich weiß, dass ich nicht nachgeben darf, wenn ich über die untersten Leiden des schon durch meine übrige Lebensweise niedergehaltenen Schreibens in die größere auf mich vielleicht wartende Freiheit kommen will.
Franz Kafka, Tagebücher 1914-1923, Fischer Verlag, Frankfurt am Main, Juni 2008, S.37-38
Orelie: Für Sie, Herr Tennessee Williams ist Franz Kafka ein wahrhafter Schriftsteller. Dagegen fällt Ihr Urteil über viele Schriftsteller nicht gerade positiv aus.
Tennessee Williams: Ich weiß, dass viele Schriftsteller sich sozusagen als Facharbeiter betätigen, und das ist ganz etwas anderes. Vielleicht sind sie damit die « besseren » Schriftsteller, im konventionellen Sinne dieses Wortes – immer auf dem laufenden, was Bestseller-Trächtigkeit angeht, und eine Freude ihrer Verleger und vermutlich auch ihrer Leserschaft. Doch sie sind nicht frei und somit nicht das, was ich, in seiner Daseinsform, als wahrhaften Schriftsteller betrachte.
Memoiren, S.289
Orelie: Was können Sie, Herr Kafka hierauf sagen?
Franz Kafka: Die besondere Art meiner Inspiration in der ich Glücklichster und Unglücklichster um 2 Uhr nachts schlafen gehe ist die, dass ich alles kann, nicht nur auf eine bestimmte Arbeit hin. Wenn ich wahllos einen Satz hinschreibe z. B. Er schaute aus dem Fenster so ist er schon vollkommen. Die besondere Art meiner Inspiration wird vielleicht, wenn ich nur den Gedanken daran ertrage, bleiben, denn sie ist höher als alle früheren.
Tagebücher 1909-1912, S.27
Orelie: Ich danke Ihnen beiden für dieses Gespräch.
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