Interview: Abbé Pierre~Camus~Kafka~Rahner – der Tod

Christa, 28 septembre 2013

Orelie: Ich begrüße Franz Kafka, Karl Rahner, Abbé Pierre und Albert Camus, und wir haben uns vorgenommen, über den Tod zu sprechen. Beginnen wir mit Ihnen, Herr Kafka. Der Mensch ist sich bewusst, dass der Tod zu seinem Leben dazugehört. Und diese Tatsache beschreiben Sie sehr bildhaft und ausdrucksvoll in einer Ihrer Tagebuchaufzeichnungen. Wie lautet diese Aufzeichnung?

Franz Kafka: Am Sicherheben hindert ihn eine gewisse Schwere, ein Gefühl des Gesichertseins für jeden Fall, die Ahnung eines Lagers, das ihm bereitet ist und nur ihm gehört, am Stilliegen aber hindert ihn eine Unruhe, die ihn vom Lager jagt, es hindert ihn das Gewissen, das endlos schlagende Herz, die Angst vor dem Tod und das Verlangen ihn zu widerlegen, alles das lässt ihn nicht liegen und er erhebt sich wieder. Dieses Auf und Ab und einige auf diesen Wegen gemachte zufällige, flüchtige, abseitige Beobachtungen sind sein Leben.

Franz Kafka, Tagebücher 1914-1923, Fischer Verlag, Frankfurt am Main, Juni 2008, S.184-185

Orelie: Was können Sie, Herr Karl Rahner, zu dem menschlichen Dasein sagen?

Karl Rahner: Die Erde gebiert Kinder maßlosen Herzens, und ach, was sie ihnen gibt, ist zu schön, um von ihnen verachtet zu werden und ist zu arm, um sie – die Unersättlichen reich zu machen. Und weil sie die Stätte dieses unglücklichen Zwiespaltes ist zwischen der großen Verheißung, die nicht loslässt, und der kargen Gabe, die nicht befriedigt, darum wird sie der üppige Acker auch noch der Schuld ihrer Kinder, die ihr mehr zu entreißen suchen, als sie gerecht geben kann. Und meistens bringt sie es, weil sie immer beides ist: Leben und Tod, zu keinem von beiden, und die trübe Mischung, die sie uns reicht, von Leben und Tod, Jauchzen und Klage, schöpferischer Tat und immer gleichem Frondienst, nennen wir unseren Alltag.

Karl Rahner, Glaube, der die Erde liebt, Herder Verlag, Freiburg im Breisgau, 1967, S.64

Orelie: Auch Sie, Herr Kafka schreiben von der Schuld. Ihre Erzählung Das Urteil ist ein Aufschrei, mit dem Sie zum einen das Leid ausdrücken, das Sie unter Ihrem tatkräftigen und herrschsüchtigen Vater zu erdulden hatten, und zum anderen enthält dieser Schrei das Entsetzen darüber, dass der Mensch bei seiner Geburt schon im Tode steckt. Können Sie uns die Stelle aus Ihrer Erzählung zitieren?

Franz Kafka: „Du hast mir also aufgelauert!” rief Georg. Mitleidig sagte der Vater nebenbei: „Das wolltest du wahrscheinlich früher sagen. Jetzt passt es ja gar nicht mehr.” Und lauter: „Jetzt weißt du also, was es noch außer dir gab, bisher wusstest du nur von dir! Ein unschuldiges Kind warst du ja eigentlich, aber noch eigentlicher warst du ein teuflischer Mensch! Und darum wisse: Ich verurteile dich jetzt zum Tode des Ertrinkens!” Aus dem Tor sprang er, über die Fahrbahn zum Wasser trieb es ihn. Schon hielt er das Geländer fest, wie ein Hungriger die Nahrung. Er schwang sich über, als der ausgezeichnete Turner, der er in seinen Jugendjahren zum Stolz seiner Eltern gewesen war. Noch hielt er sich mit schwächer werdenden Händen fest, erspähte zwischen den Geländerstangen einen Autoomnibus, der mit Leichtigkeit seinen Fall übertönen würde, rief leise: „Liebe Eltern, ich habe euch doch immer geliebt”, und ließ sich hinabfallen.

Franz Kafka, Sämtliche Erzählungen, Fischer Verlag, Januar 1970, S.32

Orelie: Kommen wir zu Ihnen, Herr Albert Camus. Was können Sie über der Tod sagen?

Albert Camus: Aus dem leblosen Körper, auf dem eine Ohrfeige kein Mal mehr hinterlässt, ist die Seele verschwunden. Diese elementare und endgültige Seite des Abenteuers ist der Inhalt des absurden Gefühls. Im tödlichen Licht dieses Verhängnisses tritt die Nutzlosigkeit in Erscheinung. Keine Moral und keine Anstrengung lassen sich a priori vor der blutigen Mathematik rechtfertigen, die über uns herrscht.

Albert Camus, Der Mythos des Sisyphos, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Juni 2004, S.26

Orelie: Die Absurdität des Todes wirft auch auf die Schönheit in der Welt ihren düsteren Schatten? Auf der Höhe von Algier machten Sie eine solche Erfahrung, können Sie diese beschreiben?

Albert Camus: Die Höhen über Algier strotzen im Frühling von Blumen. Der Honigduft der gelben Rosen strömt in die engen Straßen. Riesige schwarze Zypressen lassen in ihren Wipfeln Glyzinien und Weißdorn auffunkeln, deren sonstiges Wachstum verborgen bleibt. Ein sanfter Wind, die unendlich weite und glatte Bucht. Starkes und einfaches Sehnen – und die Absurdität, dies alles zu verlassen.

Albert Camus, Tagebücher 1935 – 1951, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Juli 1997, S.176-177

Orelie: Und was heißt es für Sie, den Tod zu akzeptieren.

Albert Camus: Bewusst sterben bedeutet: die Kluft zwischen uns und der Welt verringern und freudlos und im Bewusstsein, dass die Herrlichkeit dieser Welt für immer vorbei ist, das Ende auf sich nehmen. Und das Klagelied der Hügel von Djemila gräbt mir dies bittre Wissen tief in die Seele.

Albert Camus, Hochzeit des Lichts, « Der Wind in Djemila », Arche Literatur Verlag, Hamburg, Zürich, 2010 S.27

Orelie: Was können Sie, Herr Abbé Pierre, hierzu sagen?

Abbé Pierre: Für mich ist der Tod eigentlich keine Trennung, sondern eine Fortsetzung. Er ist kein Ende, sondern eine Erneuerung. Ich glaube, dass es eine große Kraft gibt, die voller Güte ist und die weiß, wohin die Dinge gehen. Die Gläubigen nennen sie Gott.

Abbé Pierre, Was ist das, der Tod?, Tyrolia Verlag, Innsbruck, 2012, S.12-13

Orelie: Deshalb haben Sie auch keine Angst vor dem Tod.

Abbé Pierre: Selbst wenn ich Gewissensbisse habe und so manches bereue, habe ich keine Angst zu sterben. Als ich im Rio de la Plata Schiffbruch erlitt, habe ich mich vom ersten Augenblick an, in dem ich im Wasser war, mit einer außergewöhnlichen Gelassenheit fallen lassen, und meine Seele war von einem einzigen Gedanken erfüllt. Wenn man seine Hand in die Hand der Armen gelegt hat, dann ergreift man mit seiner anderen Hand die Hand Gottes. Seit diesem Tag weiß ich, dass der Tod ein Treffen mit einem alten Freund ist.

Was ist das, der Tod?, S.50

Orelie: Sie, Herr Karl Rahner, schreiben, dass mit der Auferstehung Jesu Christi zwischen Gott und der Erde kein Abgrund mehr besteht. Warum?

Karl Rahner:Christus ist schon inmitten all der armen Dinge dieser Erde, die wir nicht lassen können, weil sie unsere Mutter ist. Er ist in allen Tränen und in allem Tod als der verborgene Jubel und das Leben, das siegt, indem es zu sterben scheint.

Glaube, der die Erde liebt, S.67

Orelie: In dieser Schrift Glaube, der die Erde Liebt geben Sie dem Menschen auch einen Hinweis, wie er die Liebe Gottes leben kann.

Karl Rahner: Eines tut freilich not, damit seine Tat, die wir nie ungeschehen zu machen vermögen, die Seligkeit unseres Daseins werde. Er muss aus der Mitte auch unseres Wesens, wo er ist als die Kraft und die Verheißung auferstehen. Und dieses Auferstehen geschieht unter der Freiheit unseres Glaubens. Es ist auch so seine Tat. Aber seine Tat, die geschieht als unsere: als Tat des liebenden Glaubens, die uns hineinnimmt in den ungeheuerlichen Aufbruch aller irdischen Wirklichkeit zu ihrer eigenen Herrlichkeit, der begonnen hat in der Auferstehung Christi.

Glaube, der die Erde liebt?, S.68

Orelie: Lassen Sie mich noch einmal Herrn Franz Kafka das Wort geben. In Ihren Romanen und Erzählungen wird der Tod meistens schauervoll beschrieben. Es scheint, als wollten Sie damit ein Unrecht aufdecken. Erinnern Sie sich an eine solche Darstellung in Ihrem Roman Der Prozeß?

Franz Kafka: K. wusste jetzt genau, dass es seine Pflicht gewesen wäre, das Messer, als es von Hand zu Hand über ihm schwebte, selbst zu fassen und sich einzubohren. Aber er tat es nicht, sondern drehte den noch freien Hals und sah umher. Wo war der Richter, den er nie gesehen hatte? Wo war das hohe Gericht, bis zu dem er nie gekommen war? Aber an K.s Gurgel legten sich die Hände des einen Herrn, während der andere das Messer ihm tief ins Herz stieß und zweimal dort drehte. Mit brechenden Augen sah noch K., wie die Herren, nahe vor seinem Gesicht, Wange an Wange aneinandergelehnt, die Entscheidung beobachteten. „Wie ein Hund!” sagte er, es war, als sollte die Scham ihn überleben.

Franz Kafka, Der Prozeß, dtv, München, 2007, S.235

Orelie: Ich danke Ihnen allen für dieses Gespräch.

 

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