Anfänge des Impressionimus

Théodore Duret

Orelie: Ich freue mich, Herr Théodore Duret, dass Sie zu diesem Gespräch gekommen sind. Sie stehen als Kunsthistoriker auf der Seite der impressionistischen jungen Maler und Malerinnen, wie Berthe Morisot, Auguste Renoir, Claude Monet, Paul Cézanne, um nur einige zu nennen. Diese unabhängigen Maler sehen in Edouard Manet einen wahren Erneuerer der Kunst und bewundern ihn, weil sie erkannt haben, dass hier jemand die strengen akademischen Regeln durchbrochen hat, von denen sie sich ganz befreien wollen. Im Jahr 1874 machten sie ihre eigene Ausstellung, weil sie bei den Kunstkritikern, dem Pariser Salon und dem Publikum nur auf Ablehnung gestoßen waren. Was wollen Sie zu dieser Ausstellung sagen?

Théodore Druet: Das Unternehmen einer eigenen Ausstellung war gewagt, die Kosten waren erheblich, und sie waren froh, sie mit anderen teilen zu können. Sie fühlten, dass sie, um von einem großen Publikum gesehen zu werden und die Aufmerksamkeit der Presse auf sich zu lenken, ihren Kreis erweitern und sich mit einigermaßen bekannten Künstlern zusammentun mussten. Sie wählten dazu mehr oder weniger bekannte Künstler, mit denen sie aber Unabhängigkeit des Geistes und freie Kunstanschauungen verbanden. Da ein großer Ausstellungssaal mitten in Paris nicht aufzutreiben war, hatten sie am Boulevard des Capucines 35 eine Flucht Zimmer gemietet, die ihnen von dem Photographen Nadar zur Verfügung gestellt wurden. Dieses Lokal befand sich an einem Boulevard im Mittelpunkt des Pariser Verkehrs. Durch Plakate, die am Eingang angeschlagen waren, hofften sie, die Aufmerksamkeit zu erregen und eine möglichst große Anzahl Besucher die Treppe hinaufzulocken, sie rechneten auf den Franc Eintrittsgeld zur Deckung der Kosten. Die Zahl der Besucher war ziemlich groß, und die Maler der neuen Richtung konnten mit dem schnellen Anwachsen ihres Ruhmes zufrieden sein, allerdings war es ein trauriger Ruhm; denn das Publikum hielt sie für verirrte, unwissende und anmaßende Künstler, die nur missgestaltete Dinge malen konnten.
Théodore Duret, Die Impressionisten, Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1925, S.22

Orelie: Sie sind Kunstkritiker und können uns das Neuartige in der impressionistischen Kunst erklären. Nehmen wir Claude Monet und ich bitte Sie, die Kunst seines Malens zu erläutern.

Thédore Duret: Das Sachliche und die Konturen der dargestellten Landschaft waren nur noch das Knochengerüst für die wechselnden Effekte, die bei grauem Wetter oder bei brennender Sonne, bei Morgen-, Mittag- oder Abendstimmung sich einstellten und gewissermaßen das wirkliche Motiv des Bildes wurden. Monet bildete schließlich aus der zuerst absichtslosen Gewohnheit, mehrmals dasselbe Bild mit veränderten Effekten zu malen, ein definitives System.
Théodore Duret, Ibid., S.56-57

Orelie: Können wir feststellen, dass Claude Monets Bilder wie Die Heuschober, Die Kathedrale von Rouen, Ein Morgen auf der Seine, Die Seerosen sowie seine darauffolgenden Serien Ansichten von der Themse und Effekte des Wassers gemalte Impressionen sind? Claude Monet kam es, wie Sie erklärten, in erster Linie auf die Effekte an, die er beim Malen erhaschte. Auch malte er mehrmals dasselbe Motiv.

Théodore Duret: Als Monet zum ersten Mal eine solche Serie: die Heuschober oder die Kathedrale ausstellte, meinte das Publikum, dass er sich wahrscheinlich seine Aufgabe erleichtern wollte, indem er endlos denselben Gegenstand wiedergäbe, und dass diese Art Produktion nur den Zweck haben könne, ohne große Mühe so viele Bilder wie möglich zu schaffen. Seit Monet Serien malte, hat er weniger Bilder geschaffen als vorher, obgleich er mehr arbeitete. Es hat sich herausgestellt, dass es viel leichter ist, verschiedene Motive zu malen, als immer dasselbe Thema unter wechselnden Bedingungen zu wiederholen. Im Fluge die Veränderungen zu erhaschen, sie bestimmt auf dem Bilde wiederzugeben, ist eine äußerst schwierige Aufgabe, die eine ganz außergewöhnliche Auffassung, ganz besondere Fähigkeiten und gespannteste Aufmerksamkeit erheischt. Um solche Landschaften zu malen, muss man vollkommen vom Gegenständlichen abstrahieren können. Man muss dahin kommen, von der unbeweglichen Grundlage der darzustellenden Szene das Atmosphärische loszulösen, und zwar in raschester Folge, denn es kann vorkommen, dass die verschiedenen Effekte, die man in ihrem flüchtigen Erscheinen erhaschen muss, ineinandergreifen und leicht unklar werden, wenn das Auge sie nicht im rechten Moment erfasst. Monet sagte mir, dass das Malen der Domfassade in Rouen bei den verschiedenen Beleuchtungen eine solche Anspannung seiner Geisteskräfte erfordert hatte, dass er danach eine fürchterliche Ermüdung fühlte. Er hatte vollkommen den klaren Blick für die Dinge verloren, musste pausieren und konnte eine Zeitlang seine Bilder nicht ansehen, denn er vermochte nicht mehr, sich Rechenschaft über ihren Wert zu geben.”
Théodore Duret, Ibid., S.57

Orelie: Vielen Dank für diese ausführlichen Erklärungen der impressionistischen Freilichtmalerei, bei der insbesonders die Auswirkungen des Lichtes auf das von ihnen Gemalte beachtet werden mussten. So änderten die Impressionisten die Farbe einer Landschaft je nach der Tageszeit, zu der sie sie malten. Warum, Herr Duret, lehnte das Publikum die impressionistischen Farbtöne als kühn und ungeheuerlich ab?

Théodore Duret: Man sah in ihren Bildern die Lichtflecke, die die Sonne durch das Laubwerk auf den Boden wirft, das zarte und doch kräftige Grün der frühlingsjungen Erde, den rötlichen Ton der von der Sommerglut versengten Felder. Das Wasser hatte keine eigene Farbe, sondern konnte eigentlich jede annehmen, und da die Impressionisten entdeckten, dass die Schatten im Freien je nach der Beleuchtung verschieden gefärbt sind, malten sie sie ohne Zögern bald blau, bald violett, bald lila. So zeigten ihre Bilder plötzlich Farben, wie man sie noch nie in der Malerei gesehen hatte.
Théodore Duret, Ibid., S.31-32

Orelie: Claude Monet, Auguste Renoir, Camille Pissarro, Alfred Sisley und Berthe Morisot ließen sich trotz aller Kritik nicht davon abhalten, im Jahr 1876 eine weitere Ausstellung zu machen, obwohl sie kaum Käufer für ihre Bilder gefunden hatten. Insgesamt stellten neunzehn Künstler aus. Paul Cézanne und Armand Guillaumin waren diesmal nicht dabei. Der Kunsthändler Paul Durand-Ruel hatte ihnen Räume zur Verfügung gestellt. Aber die Ausstellung brachte ihnen keinen Erfolg, noch dazu wurden sie in der Presse verhöhnt. Können Sie hierzu einen angesehenen Kritiker im Figaro zitieren?

Théodore Duret: Soeben ist bei Durand-Ruel eine Ausstellung eröffnet worden, die angeblich Bilder bringt. Ich trete ganz harmlos ein, und meinen entsetzten Augen bietet sich ein grausiges Schauspiel. Fünf oder sechs Tollhäusler, darunter eine Frau, haben sich hier zusammengefunden und ihre Werke ausgestellt. Ich sah Leute vor diesen Bildern sich vor Lachen wälzen, mir blutete das Herz bei dem Anblick. Die sogenannten Künstler nennen sich Radikale, Impressionisten. Sie nehmen ein Stück Leinwand, Farbe und Pinsel, werfen auf gut Glück einige Farbenkleckse hin und setzen ihren Namen darunter. Dies ist eine ähnliche Verblendung, als wenn die Irren in Ville-Evrard Kieselsteine vom Wege sammeln und sich einbilden, sie hätten Diamanten gefunden.”
Théodore Duret, Ibid., S.25

Orelie: Trotz dieser und anderer Kritik in der Presse und des totalen Missverständnisses beim Publikum blieben die Impressionisten ihrer Kunst treu und ließen sich nicht beirren. Ein Jahr darauf machten sie wieder eine Ausstellung, für die sie mit einer eigenen Broschüre Der Impressionist, Zeitung für Kunst auf sich aufmerksam gemacht hatten. Was können Sie über diese Ausstellung sagen?

Théodore Druet: Statt dreißig Aussteller im Jahre 1874 und neunzehn im Jahre 1876, waren es jetzt nur noch achtzehn. Da dies aber alle wirkliche Impressionisten: Pissarro, Claude Monet, Sisley, Renoir, Berthe Morisot, Cézanne, Guillaumin, Caillebotte und ihr junger Nachwuchs waren, so wurde diese Ausstellung noch dezidierter und revolutionärer als die erste im Jahre 1874. Da sie außerdem alle von demselben Geiste und dem gleichen Feuer beseelt waren und, indem sie sich gegenseitig unterstützt, ermutigt und aufgepeitscht hatten, während dreier Jahre die Eigentümlichkeiten, die sie auszeichneten, voll entwickelt und verschärft hatten, wirkte ihre dritte Ausstellung weit kühner als die erste. Die Impressionisten erschienen diesmal dem Publikum in ihrer ganzen Ungeheuerlichkeit und erregten bei diesem eine ganz außerordentliche Heiterkeit, Entrüstung, Verachtung, die sich bis zum Entsetzen steigerte. Die Ausstellung wurde zum Pariser Ereignis; man sprach davon in den Boulevard-Cafés, in den Klubs und in den Salons. Sie wurde viel besucht, allerdings nicht aus künstlerischem Interesse, denn man ging nur hin, um sich an den extravaganten Produktionen zu belustigen. So sah man bei den Beschauern nichts anderes als Lachen und Achselzucken, und im Hinblick auf die bevorstehende Belustigung begannen sie schon auf der Straße und auf der Treppe zu lachen, um dann beim ersten Anblick der Bilder in ein schallendes Gelächter auszubrechen.
Théodore Duret, Ibid., S.25

Orelie: Dennoch ließen sich die Impressionisten auch nach diesem erneuten Misserfolg nicht beirren und machten weitere Ausstellungen. Auch wenn sie noch lange beschimpft und verlacht wurden, hielten sie durch. Sie verdienen unsere Anerkennung und ich danke Ihnen, Herr Théodore Duret, für dieses Gespräch.