Interview: Rahner – Das Wort Gott

Christa, 1 décembre 2014

Ciel

Orelie: Guten Tag, Herr Karl Rahner. Ich freue mich, dass Sie zu unserem Gespräch gekommen sind, in dem wir uns über das Wort „Gott” unterhalten wollen. Was können Sie Grundsätzliches zu diesem Wort sagen?

Karl Rahner: Man hat von Gott keine Erfahrung wie von einem Baum, einem anderen Menschen und ähnlichen äußeren Wirklichkeiten, die ihr Wort durch sich selbst erzwingen, weil sie in unserem Erfahrungsraum einfach vorkommen. Deshalb kann man sagen, das Einfachste und Unausweichliche in der Gottesfrage ist für den Menschen die Tatsache, dass in seinem geistigen Dasein das Wort „Gott” gegeben ist. Ob seine Geschichte von einer anderen Gestalt des Wortes ausging, das mag dahingestellt sein, jedenfalls spiegelt die jetzige Gestalt des Wortes das wider, was mit dem Wort gemeint ist: der Unsagbare, der Namenlose, der nicht in die benannte Welt als ein Moment an ihr einrückt.

Karl Rahner, Gnade als Freiheit, Herder Verlag, Freiburg im Breisgau, 1968, S.11-13

Orelie: Auch Atheisten gebrauchen das Wort „Gott”.

Karl Rahner: Es wird immer auch vom Atheisten neu gesetzt, wenn er sagt, es gebe keinen Gott und so etwas wie Gott habe gar keinen angebbaren Sinn, wenn er ein Gottlosenmuseum gründet, den Atheismus zu einem Parteidogma erhebt und sich noch anderes ausdenkt.

Gnade als Freiheit, S.12

Orelie: Und nehmen wir die Möglichkeit an, dass das Wort „Gott” eines Tages verschwindet und durch kein anderes Wort ersetzt wird. Was können Sie zu dieser Zukunft sagen?

Karl Rahner: Wenn man diese Zukunftshypothese ernst nimmt, dann ist der Mensch nicht mehr vor das eine Ganze der Wirklichkeit als solcher und nicht mehr vor das eine Ganze seines Daseins als solchem gebracht. Er würde nicht mehr merken, dass er nur einzelnes Seiendes, aber nicht das Sein überhaupt bedenkt. Er würde in der Welt und in sich steckenbleiben, aber nicht mehr jenen geheimnisvollen Vorgang vollziehen, der er ist. Wir können nur sagen: Er würde aufhören, ein Mensch zu sein. Er hätte sich zurückgekreuzt zum findigen Tier.

Gnade als Freiheit, S.14-15

Orelie: Nehmen wir die zweite Möglichkeit an, das Wort „Gott” bleibt. Was gibt es hierbei zu bedenken?

Karl Rahner: Es ist nicht so, dass wir zunächst einmal, je als Einzelne aktiv handelnd, „Gott” denken, und es so zum erstenmal in den Raum unseres Daseins einrücken. Sondern wir hören erleidend das Wort „Gott”. Es ist da. Es kommt aus jenen Ursprüngen, aus denen der Mensch selbst herkommt, man kann sein Ende nur mit dem Tod des Menschen als solchen zusammen denken. Es kann noch eine Geschichte haben, deren Gestaltwandel wir uns nicht im voraus denken können, gerade weil es selbst die unverfügbare, ungeplante Zukunft offenhält. Es ist die Öffnung in das unbegreifliche Geheimnis. Es überanstrengt uns, es mag uns gereizt machen ob der Ruhestörung in einem Dasein, das den Frieden des Übersichtlichen, Klaren, Geplanten haben will.

Gnade als Freiheit, S.17

Orelie: Sie haben geschrieben Gott ist keine naturwissenschaftliche Formel, was wollten Sie damit zum Ausdruck bringen?

Karl Rahner Gott ist nicht „etwas„ neben anderem, das mit diesem anderen in ein gemeinsames, homogenes System einbegriffen werden kann. „Gott” sagen wir und meinen das Ganze, aber nicht als nachträgliche Summe der Phänomene, die wir untersuchen, sondern das Ganze in seinem unverfügbaren Ursprung und Grund, der unumfasslich, unumgreiflich, unsagbar hinter, vor und über jenem Ganzen liegt, zu dem wir selbst und auch unser experimentierendes Erkennen gehören. Und in jedem Leben, auch des exakten Naturwissenschftlers und Technikers, kommen in die Mitte des Daseins zielende Augenblicke, in denen ihn die Unendlichkeit anblickt und anruft. Man kann das Leben, insofern man zwischen diesem und jenem hindurchfinden muss, mit Formeln der Wissenschaft meistern. Wenigstens auf weite Strecken mag das gelingen, und man greift glücklicherweise morgen noch ein gutes Stück weiter. Der Mensch selbst aber gründet im Abgrund, den keine Formel mehr auslotet. Man kann den Mut haben, diesen Abgrund zu erfahren als das heilige Geheimnis der Liebe. Dann kann man es Gott nennen.

Gnade als Freiheit, S.19,22,23

Orelie: Herr Karl Rahner, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

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