Interview: Camus~Kafka~Rahner – der Glaube

Christa, 29 juillet 2013

DieSonne

Orelie: Guten Tag, ich freue mich, dass zwei bedeutende Schriftsteller und ein bedeutender Theologe des Zwanzigsten Jahrhunderts zu diesem Gespräch gekommen sind. Sie, Herr Franz Kafka, sind jüdischen Glaubens, Sie, Herr Karl Rahner sind Christ und Sie, Herr Albert Camus?

Albert Camus: Ich lese oft, ich sei Atheist, ich höre oft von meinem Atheismus reden. Aber diese Worte sagen mir nichts, sie haben keinen Sinn für mich. Ich glaube nicht an Gott und ich bin kein Atheist.

Albert Camus, Tagebuch, März 1951- Dezember 1959, Rowohlt Verlag, 1997, S.155

Orelie: Sie geben also ausdrücklich zu verstehen, dass Sie kein Atheist sind und nicht an Gott glauben. In Ihrem Werk Der erste Mensch, in dem Sie sich den Namen Jacques Cormery gaben, schreiben Sie von einem namenlosen Mysterium, dem sie als junger Katechumene während einer Abendmesse begegnet sind. Was können Sie über dieses Mysterium sagen?

Albert Camus: Wo aber die Orgel ihn eine Musik vernehmen ließ, die er zum ersten Mal hörte, da er bis dahin immer nur dumme Gassenhauer gehört hatte, und die ihn dann in einen noch intensiveren, tieferen Traum versetzte, der erfüllt war vom Schillern des Goldes im Halbdunkel der priesterlichen Gegenstände und Gewänder, endlich dem Mysterium begegnend, aber einem namenlosen Mysterium, in dem die vom Katechismus genannten und streng festgelegten Gottheiten, eine bloße Verlängerung der nackten Welt, in der er lebte, nichts zu tun und nichts zu suchen hatten.

Albert Camus, Der erste Mensch, Rowohlt Verlag, Februar 2010, S.147

Orelie: Wie sehen Sie, Pater Rahner diese mystische Erfahrung Albert Camus’?

Karl Rahner: Es gibt eine einsame Mystik des Menschen, in der, wie Ignatius sagt, das Geschöpf und der Schöpfer unmittelbar verkehren. Welcher Mensch ist zu so etwas fähig? Wenn man diese Frage genauer beantworten will, wird man sagen müssen: Zu dieser innersten mystischen Erfahrung Gottes ist letztlich doch nur der Mensch fähig, der den Nächsten liebt.

Karl Rahner Im Gespräch, Kösel Verlag, München, 1983, S.44

Orelie: Welche Konsequenzen ergeben sich hieraus für die Seelsorge?

Karl Rahner: Die mystische Komponente müsste viel besser entwickelt werden. Der einzelne Priester und Seelsorger müsste darauf achten; er dürfte nicht nur eine Botschaft verkünden, die rein von außen kommt, er müsste Berufung einlegen an die innerste personale Erfahrung des einzelnen Menschen in seiner Einsamkeit und in seiner absoluten Verantwortung. Nur dort, wo die äußere Botschaft des Christentums sich nicht für sich allein mächtig versteht, sondern der innersten Erfahrung des Menschen, also der mystischen Komponente des Christentums, entgegenkommt, sie gleichsam aktualisiert, sie lebendiger macht, sie unter dem Schutt des Alltagsbewusstseins ausgräbt nur dort kann heute ein lebendiges Christentum noch bestehen, auch in einer atheistischen Gesellschaft. Man hat schon gesagt, dass der Christ der Zukunft – eben weil er die Abstützung von einer allgemein-gesellschaftlichen Ideologie nicht mehr hat – ein Mystiker sein müsse oder er werde nicht mehr sein. Das ist vielleicht etwas massiv ausgedrückt, aber im Grunde genommen ist es richtig.

Karl Rahner Im Gespräch, S.43-44

Orelie: Welchen Platz nahm die Religion in Ihrer Familie ein?

Karl Rahner: Ich bin in einer katholischen Familie mit sieben Kindern aufgewachsen. Sie war von der Mutter, aber auch vom Vater her mehr oder weniger selbstverständlich katholisch, ohne nun irgendwie frömmlerisch zu sein. Nach dem Abitur trat ich mit 18 Jahren in die Gesellschaft Jesu ein, machte dort meine Studien, hatte dort meine Arbeit und Aufgaben.

Karl Rahner Im Gespräch, S.47-48

Orelie: Und wie hielt es Ihre Familie, Herr Albert Camus, mit der Religion? In Ihrem schon genannten Buch Der erste Mensch, in dem Sie Ihrer Mutter den Namen Catherine Cormery gaben, finden sich ja viele Hinweise.

Albert Camus: Eigentlich spielte die Religion in der Familie keine Rolle. Niemand ging zur Messe, niemand erwähnte oder lehrte die göttlichen Gebote, und es spielte auch niemand auf die Belohnungen und Strafen im Jenseits an. Für Onkel Ernest, der auf der Gefühlsebene lebte, war Religion das, was er sah, das heißt der Pfarrer und der Prunk. Was Catherine Cormery anging, so war sie die Einzige, deren Sanftheit an einen Glauben denken ließ, aber eben die Sanftheit war ihr ganzer Glaube. Sie sprach nie von Gott. Dieses Wort hatte Jacques in seiner ganzen Kindheit eigentlich nie gehört, und er selbst kümmerte sich nicht darum. Das geheimnisvolle und strahlende Leben genügte, um ihn ganz auszufüllen. Wenn in seiner Familie von einer nichtkirchlichen Beerdigung die Rede war, kam es indes nicht selten vor, dass die Großmutter oder sogar der Onkel paradoxerweise auf einmal das Fehlen eines Priesters beklagten: „Wie ein Hund”, sagten sie. Die Religion gehörte für sie wie für die meisten Algerier nun einmal zum sozialen Leben dazu, und nur zu ihm. Man war Katholik, wie man Franzose war, das verpflichtet zu einer gewissen Anzahl von Riten. Eigentlich waren es genau vier Riten: die Taufe, die Kommunion, das Sakrament der Ehe und die Letzte Ölung. Zwischen diesen zwangsläufig sehr weit auseinanderliegenden Zeremonien war man mit anderem beschäftigt, vor allem damit, zu überleben.

Der erste Mensch, S.141-143.

Orelie: Nun zu Ihnen, Herr Franz Kafka. Sie sind Jude, und in Ihren Tagebüchern finden sich zahlreiche Aussagen, die das Judentum betreffen und die teilweise sehr religiös sind. Ende Januar 1922 vermischen sie autobiographische und religiöse Elemente in Ihren Aufzeichnungen und schreiben von der Schuld.

Franz Kafka: Freilich komme ich auch hier zur Schuld, denn warum wollte ich aus der Welt hinaus? Weil er mich in der Welt, in seiner Welt nicht leben ließ.

Franz Kafka, Tagebücher 1914 – 1923, Fischer Verlag, Juni 2008, S.211

Orelie: Mit dem Wort „er” ist zuerst einmal Ihr Vater gemeint, zu dem Sie ein sehr angespanntes und gereiztes Verhältnis hatten. Sie haben auch einen Brief an Ihren Vater geschrieben, den Sie Ihrer Mutter zu lesen gaben, und die Ihnen daraufhin abriet, diesen Brief Ihrem Vater zu zeigen. Aber was Ihre Tagebuchaufzeichnung angeht, käme es einer sehr oberflächlichen und falschen Betrachtung gleich, wenn wir in dem „er” nicht sofort auch ein Symbol für die Transzendenz, das heißt für Gott sehen würden. Können Sie bitte weiter aus Ihrem Tagebucheintrag zitieren, damit das klarer wird?

Franz Kafka: Jetzt bin ich schon Bürger in dieser andern Welt, die sich zur gewöhnlichen Welt verhält wie die Wüste zum ackerbauenden Land, ich bin 40 Jahre aus Kanaan hinausgewandert, sehe als Ausländer zurück, bin freilich auch in jener andern Welt – das habe ich als Vatererbschaft mitgebracht – der Kleinste und Ängstlichste und bin dort nur kraft der besondern dortigen Organisation lebensfähig, nach welcher es dort auch für die Niedrigsten blitzartige Erhöhungen allerdings auch meerdruckartige tausendjährige Zerschmetterungen gibt.

Tagebücher 1914 – 1923, S.211

Orelie: Sie schreiben auch von kindlichen Hoffnungen, dass sie vielleicht doch in Kanaan bleiben werden. Sind Sie sich dennoch bewusst, dass Sie Kanaan verlassen haben?

Franz Kafka: Ich bleibe doch vielleicht in Kanaan und inzwischen bin ich schon längst in der Wüste und es sind nur Visionen der Verzweiflung besonders in jenen Zeiten, in denen ich auch dort der Elendeste von allen bin und Kanaan sich als das einzige Hoffnungsland darstellen muss, denn ein drittes Land gibt es nicht für die Menschen.

Tagebücher 1914 – 1923, S.211

Orelie: Die Verzweiflung, das gelobte Land verlassen zu haben und sich bewusst zu sein, dass es innerhalb des menschlichen Lebens keinen tatsächlichen Zugang zu Gott gibt, findet sich auch in Ihrem Roman Das Schloß. Wie sehen Sie, Herr Kafka, das Schloß, zu dem Ihr Freund Max Brod in seinem Nachwort zu Ihrem Roman schreibt: „Denn was bedeutet das „Schloß” mit seinen seltsamen Akten, seiner unerforschlichen Hierarchie von Beamten, mit seinen Launen und Tücken, seinem Anspruch auf unbedingte Achtung, unbedingten Gehorsam? Ohne speziellere Deutungen auszuschließen, die vollständig richtig sein mögen, aber von dieser umfassendsten eingehegt sind wie die inneren Schalen einer chinesischen Schnitzerei von ihrer äußersten Schale – dieses „Schloß”, zu dem K. keinen Zutritt erlangt, dem er sich unbegreiflicherweise nicht einmal richtig nähern kann, ist genau das, was die Theologen „Gnade” nennen.

Max Brod, in: Franz Kafka, Das Schloß, Suhrkamp Verlag, 1996, S.413

Franz Kafka: Das Schloß, dessen Umrisse sich schon aufzulösen begangen, lag still wie immer, niemals noch hatte K. dort das geringste Zeichen von Leben gesehen, vielleicht war es gar nicht möglich, aus dieser Ferne etwas zu erkennen, und doch verlangten es die Augen und wollten die Stille nicht dulden.

Franz Kafka, Das Schloß, S.114

Orelie: Wird K. eine Antwort aus dem Schloß erhalten?

Franz Kafka: Das „Nein!” der Antwort hörte K. bis zu seinem Tisch. Die Antwort war aber noch ausführlicher, sie lautete: „Weder morgen noch ein andermal.”

Das Schloß, S.26

Orelie: Ich danke Ihnen dreien für dieses Gespräch.

 

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