Interview: Bachmann – Paul Celan

Christa, 30 juillet 2014

Hortensia

Orelie: Guten Tag, Frau Ingeborg Bachmann, ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserem Gespräch, in dem wir Ihrer Liebe zu Paul Celan ein bisschen näher kommen wollen. Sie haben ihn im Mai 1948 im Alter von 21 Jahren in Wien kennengelernt, und nachdem er Ende Juni desselben Jahrs nach Paris ging, einen langen Briefwechsel mit ihm geführt. In Ihren ersten Briefen schreiben Sie von Ihrer Zerrissenheit, denn zum einen lieben Sie diesen Menschen und zum anderen möchten Sie Ihr Studium, das Ihnen kaum freie Zeit lässt, erfolgreich beenden. Was schreiben Sie ihm über Ihre Gefühle?

Ingeborg Bachmann: Vor drei Monaten hat mir plötzlich jemand Deinen Gedichtband geschenkt. Der Boden war so leicht und schwebend unter mir, und meine Hand hat ein bisschen, ganz, ganz wenig gezittert. Dann war wieder lange nichts. Ich weiß noch immer nicht, was der vergangene Frühling bedeutet hat. Du weißt ja, dass ich immer alles ganz genau wissen will. Schön war er. Ich hab Dich heute lieb und so gegenwärtig. Das will ich Dir unbedingt sagen, – damals hab ich es oft nicht getan.

Ingeborg Bachmann, Paul Celan, Herzzeit Briefwechsel, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 2009, S.8

Orelie: Über Paul Celans Weggang nach Paris findet sich eine Stelle in Ihrem Roman Malina. Wissen Sie, welche ich meine?

Ingeborg Bachmann: Wie traurig bin ich, und warum tut Ivan nichts dagegen, warum drückt er wirklich die Zigarette aus, anstatt den Aschenbecher gegen die Wand zu werfen, die Asche auf den Boden fallen zu lassen, warum muss er mir von Paris reden, anstatt hierzubleiben oder mich mit nach Paris zu nehmen.

Ingeborg Bachman, Malina, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1980, S.48

Orelie: Paul Celan deutet Ihre Unentschlossenheit allerdings völlig anders, denn was antwortet er Ihnen in einem im August 1949 an Sie geschriebenen Brief hinsichtlich Ihres Zögerns?

Ingeborg Bachmann: Weißt Du, Ingeborg, warum ich Dir während dieses letzten Jahres so selten schrieb? Nicht allein, weil Paris mich in ein furchtbares Schweigen gedrängt hatte, aus dem ich nicht wieder freikam; sondern auch deshalb, weil ich nicht wusste, was Du über jene kurze Wochen in Wien denkst. Was konnte ich aus Deinen ersten, flüchtig hingeworfenen Zeilen schließen. Vielleicht täusche ich mich, vielleicht ist es so, dass wir einander gerade da ausweichen, wo wir einander so gerne begegnen möchten, vielleicht liegt die Schuld an uns beiden. Du weißt: die großen Entschlüsse muss man immer allein fassen. Als jener Brief kam, in dem Du mich fragtest, ob Du Paris oder die Vereinigten Staaten wählen solltest, hätte ich Dir gern gesagt, wie sehr ich mich freuen würde, wenn Du kämest. Kannst Du einsehen, Ingeborg, warum ich es nicht tat? Ich sagte mir, dass, wenn Dir wirklich etwas, das heißt mehr als etwas daran läge, in der Stadt zu leben, in der auch ich lebe, Du mich nicht erst um Rat gefragt hättest, im Gegenteil.

Herzzeit Briefwechsel, S.13

Orelie: Nach zwei längeren Aufenthalten bei Celan in Paris in den Jahren 1950 und 1951, denken Sie beide an eine Klärung ihrer liebenden Beziehung. Was antworten Sie Paul Celan, der Ihnen schreibt:„Ich wäre froh, mir sagen zu können, dass Du das Geschehene als das empfindest, was es auch wirklich war, als etwas, das nicht widerrufen, wohl aber zurückgerufen werden kann durch wahrheitsgetreues Erinnern.”

Herzzeit Briefwechsel, S.26

Ingeborg Bachmann: Ich bin heute, ganz in Deinem Sinne, für das wahrheitsgetreue Erinnern. In einem Winkel meines Herzens bin ich jedoch eine romantische Person geblieben; das mag Schuld daran tragen, dass ich mir etwas, in wenn auch unbewusster Unredlichkeit, verschönt zurückbringen wollte, was ich einmal, weil es mir nicht schön genug schien, fallen ließ.

Herzzeit, S.28

Orelie: Paul Celan lernt Ende 1951 die Künstlerin Gisèle de Lestrange kennen, die er im Jahr darauf heiratet. Und Sie, Frau Bachmann leben zwischen 1958 und 1962 mit Max Frisch zusammen. Während dieser Zeit bleiben Sie und Celan freundschaftlich miteinander verbunden. Sie bemühen sich auch, dass so mancher seiner Gedichtsbände veröffentlicht wird. Doch bleiben Probleme nicht aus, da Paul Celan sich zu der Zeit Kritiken gegenüber sieht, die seine Gedichte, in denen er den Opfern des Holocaust gedenkt, unredlich rezensiert werden. Was schreiben Sie ihm hierzu?

Ingeborg Bachmann: Lass mich noch einmal woanders anfangen: Paul, ich fürchte oft, dass Du überhaupt nicht wahrnimmst, wie sehr Deine Gedichte bewundert werden, wie groß ihre Wirkung ist, ja, dass nur Deines Ruhmes wegen immer wieder der Versuch gemacht werden wird, ihn zu schmälern, auf jede Weise, und es gibt zuletzt noch den motivlosen Angriff – als wäre das Ungewöhnliche nicht zu ertragen, nicht duldbar.

Herzzeit, S.126

Orelie: In den folgenden Jahren sieht sich Celan öffentlichen Plagiatsvorwürfen der Witwe seines Freundes Yvan Goll ausgesetzt. Was diese von Claire Goll vorgebrachten schlimmen Lügen betrifft, fühlt er sich von Ihnen verstanden. Was schreiben Sie ihm?

Ingeborg Bachmann: Vom Fischer-Verlag habe ich einen Claire Goll-Brief bekommen, man schreibt dazu, Du wüsstest davon. Ich denke, man kann nur nicht drauf antworten. Oder denkst Du anders darüber? Ich habe ihn nur noch nicht in den Papierkorb geworfen, weil ich gerne wüsste, ob Du ihm eine Wichtigkeit beimisst. Es war nichts anderes zu erwarten, – neue niederträchtige Lügen, da ihr die alten ausgehen.

Herzzeit, S.150

Orelie: Dennoch bleibt Paul Celan unsicher, da er Sie und auch Max Frisch um ein Gespräch bittet, damit alles in der Öffentlichkeit aufgeklärt werden könnte. Sie schreiben einen Brief an ihn, den Sie jedoch nicht abschicken. Was bringen Sie in diesem Brief zum Ausdruck?

Ingeborg Bachmann: Lieber Paul, das ist nun vielleicht wieder nicht die richtige Zeit, um einiges zu sagen, was sich schwer sagen lässt, aber es gibt ja die richtige Zeit nicht, sonst hätte ich es schon einmal über mich bringen müssen. Ich glaube wirklich, dass das größere Unglück in Dir selbst ist. Das Erbärmliche, das von außen kommt – und Du brauchst mir nicht zu versichern, dass es wahr ist, denn ich weiß es ja zu einem großen Teil – ist zwar vergiftend, aber es ist zu überstehen, es muss zu überstehen sein. Es kann jetzt nur von Dir abhängen, ihm richtig zu begegnen.

Herzzeit, S.153

Orelie: Frau Bachmann, möchten Sie dem bisher Gesagten noch eine Stelle aus Ihrem Roman Malina hinzufügen?

Ingeborg Bachmann: Ivan sagt lachend, aber nur einmal: Ich kann dort nicht atmen, wo du mich hinstellst, bitte nicht so hoch hinauf, trag niemand mehr in die dünne Luft, das rat ich dir, das lern noch für später! Ich habe nicht gesagt: Aber wen soll ich denn nach dir? aber du denkst doch nicht, dass ich nach dir? ich lerne lieber noch alles für dich. Für sonst niemand mehr.

Malina, S.336

Orelie: Frau Ingeborg Bachmann, ich danke Ihnen für dieses Gespräch

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